Sturm über Baton Rouge  

 

*****  

„Guten Abend, Agent Hotchner. Schön das sie trotz der widrigen Umstände kommen konnten. Ich habe für ihr Team einige Räume vorbereitet. Sagen sie mir, wenn irgendetwas fehlt.“ Aaron nickte dem noch sehr jungen Beamten zu, der sie vor wenigen Minuten vor dem Police Department in Empfang genommen hatte. „Danke!“

Sie schritten durch das große Büro und Aaron spürte wie ihnen die Blicke folgten. Er und seine Leute waren das gewohnt. Meist war es eine Mischung aus Neugierde und Ablehnung. Sie waren immer bemüht, das Misstrauen der Beamten vor Ort zu zerstreuen und gleichzeitig Autorität zu vermitteln. Es war immer ein Drahtseilakt, den JJ jedoch meist meisterte. Sie stellte die Kontakte zu den einheimischen Einheiten her.

Aaron wollte gleich mit der Arbeit beginnen, auch wenn es schon spät am Abend war. Sie hatten durch einen Sturm Baton Rouge nicht ansteuern und in Memphis landen müssen. Die Fahrt nach Baton Rouge über den Highway verlief dann zwar ohne Zwischenfälle, hatte jedoch viel Zeit gekostet. Die gegenüberliegenden Fahrbahnen waren verstopft von den Flüchtlingen, die sich vor dem Wirbelsturm in Sicherheit brachten, der die Küste bedrohte. Seit Katrina folgten viel mehr Menschen den Evakuierungsaufrufen der Regierung.

Je näher sie der Küste gekommen waren, desto stärker war der Wind geworden und auch die Regenfälle wurden langsam stärker. Doch die Behörden von Baton Rouge hatten sie um ihre Hilfe gebeten und er hatte nicht vor sich von dem an der Küste tobenden Sturm davon abhalten zu lassen.

Er wollte heute Abend noch das Briefing machen und dann morgen durchstarten. Was ihm nicht gefallen hatte, war das starke Medienaufgebot in der Stadt. Normalerweise versuchten sie nicht zu sehr in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Doch bei ihrer Ankunft waren mehrere Kamerateams vor Ort gewesen. Aaron wunderte sich nicht, bei der Blutspur, die der Täter bisher hinterlassen hatte.

Die Presse nannte ihn den „Blutengel“ und das gefiel ihm nicht sonderlich. Sie versuchten immer zu vermeiden, dem Täter einen Namen zu geben, doch die Beamten in Baton Rouge hatten sie leider erst nach dem vierten Opfer hinzugezogen.

Das erste Opfer war an der Zufahrtstraße von Zachary gefunden worden. Sie hatte in ihrem Auto gelegen. Ausgeblutet. Aaron legte seine Tasche auf einen der Tische in dem kleinen Konferenzraum, in den sie geführt wurden. Er nickte dem jungen Mann zu. „Danke Detektive Fournier.“ In dieser Gegend hatten viele Menschen französische Namen. „Bitte bleiben Sie noch einen Moment hier. Wir möchten eine kleine Bestandsaufnahme machen.“

„In Ordnung."

„Gut. JJ! Du kümmerst dich um die Presse, wir müssen da den Deckel drauf halten, ich will nicht, dass unser Täter soviel Aufmerksamkeit bekommt. Das wird ihn nur motivieren. Geben Sie das bitte auch an ihre Mitarbeiter weiter Fournier. Keine Infos an die Presse! Wenden sie sich bitte immer an SSA Jareau.“

Er wandte sich den Karten der Gegend zu. „Reid, du erstellst bitte ein geografisches Profil und untersuchst die Tatortfotos auf Hinweise. Prentiss und Morgan untersuchen die Tatorte noch mal und recherchieren im Umfeld.  Rossi, wir beide kümmern uns um das Profil.“

 

Er wandte sich noch einmal Fournier zu. „Bringen Sie uns auf den gleichen Stand!“

 

Der junge Mann räusperte sich kurz, er war sichtlich durch die Professionalität dieses Teams beeindruckt und nervös. Doch er hatte den Fall von erster Stunde an bearbeitet und war für die Einweisung bestens geeignet. Zwar hatte JJ sie schon alle auf dem Weg gebrieft, aber die Eindrücke der Beamten vor Ort war genauso wichtig wusste Aaron. Er nickte Fournier aufmunternd zu.

 

„Das erste Opfer war Cecille Cooper, weiß, 43 und Mutter von drei kleinen Kindern.“ Er wies auf ein Foto an der Pinnwand. „Sie war auf dem Heimweg von der Arbeit als sie verschwand. Zehn Stunden später fand man sie und ihren Wagen an der Zufahrtstraße. Laut Autopsie hatte der Täter sie ausbluten lassen. Der Wagen war zwar blutverschmiert, aber die Menge war zu gering, als dass der Wagen der Tatort sein könnte.“

 

Er wandte sich dem zweiten Bild zu. „Dies ist Madleine Loften, 37 und Architektin und alleinstehend. Ihr Verschwinden fiel auf, als sie zu einem Geschäftsabschluß nicht erschien. Das ist 7 Tage her. Man hat sie nicht gefunden, aber 2 Tage später entdeckten einige Kinder dies hier:“ Er wies auf eine Foto, dass eine Wand zeigte. Sie war über und über mit Texten beschrieben und mit stilisierten Engeln bemalt. Diese Wand hatte dem Täter seinen Namen „Blutengel“ eingebracht. „Es war das Blut von Madleine Lofton.“

 

Das vierte Foto zeigte einen jungen Mann mit blonden Haaren. „James MacAffee, 24, Student an der Baton Rouge University. Hauptfach Biochemie. Er wurde in seiner eigenen Wohnung gefunden, wiederum ausgeblutet und Bildern und Texten an den Wänden.“

 

„Wann geschah das?“ Rossi hatte sich einen Stuhl herangezogen. „Vor drei Tagen und als wir vorgestern das vierte Opfer gefunden hatten, habe ich ihr Büro direkt kontaktiert.“

 

„Wer war dieses Opfer?“

 

Fournier wies auf ein viertes Bild. „Quentin Meyers. Ebenfalls Student und auf dem Campus lebend. Er wurde in der Turnhalle gefunden und wieder hat sich der Täter verewigt. Spätestens ab da, waren die Medien nicht mehr aufzuhalten. Der Campus wurde gesperrt. Wer nicht schon vor dem Sturm geflüchtet ist, versucht sich nur noch in größeren Gruppen aufzuhalten. Die ganze Stadt ist in Panik.“

 

„Genau das will der Täter vermutlich erreichen. Er badet in seinem Ruhm.“ Derek trat an die Pinnwand. „Wir sollten gegensteuern.“

 

„Er steigert sein Tempo, fühlt sich angespornt durch die starke Presseaufmerksamkeit und kann nicht genug davon kriegen. Er sucht die große Bühne für seine Inszenierungen.“ Rossi sah zu der Pinnwand herüber. „Es muss einen Auslöser gegeben haben und dann ist er auf den Geschmack gekommen. Wir sollten uns auf das erste Opfer in Bezug auf den Auslöser konzentrieren.“

 

Aaron musste seinem Kollegen zustimmen. „Gut! Alle wissen was zu tun ist. Morgen früh um 8.00 Uhr treffen wir uns.“ Es war spät. Sie alle würden sich noch in den Fall einarbeiten und morgen dann durchstarten.

 

Ein uniformierter Beamter kam zur Tür hinein. „Fournier, sie sollten sich das hier ansehen.“ Er ging zu dem kleinen Fernseher und schaltete ihn ein. Auf dem Bildschirm erschien das Polizeirevier und eine dralle Blondine sah ernst in die Kamera, während der Sturm ihr Haar zerzauste. „Ist die Polizei in der Lage uns zu schützen? Anscheinend ist das FBI anderer Ansicht und sendete ein Team aus Quantico hierher. Dieses soll die Psyche des Blutengels analysieren. Ob das etwas bringt und wir wieder sicher in dieser Stadt sind wird sich zeigen.“ Die Aufnahmen zeigte das Team bei der Ankunft am Revier und die die Kamera zoomte auf Prentiss und Reid heran. „Können diese FBI-Agenten schaffen, wozu Chief Mellord und seine Leute nicht in der Lage waren? Wir bleiben für die am Ball und nun zurück zu Mike Ballard an der Küste und den neuesten Meldungen vom Sturm.“

 

Fournier stellte den Fernseher ab. „Es tut mir leid, aber durch den Sturm sind besonders viele Presseberichterstatter in der Stadt und unser Täter sucht die Öffentlichkeit mit seinen Tatorten.“

 

Aaron wusste, er musste den Beamten aufbauen. „Ist in Ordnung, wir wissen damit umzugehen.“ Er nickte JJ zu, die sich darum kümmern würde.

 

***

 

„Das geografische Profil gibt noch nicht viel her. Zachary liegt ausserhalb der Stadt, die anderen Tatorte waren innerstädtisch.“ Reid fuhr sich durch das lange Haar. „Er wandert von ausserhalb ein und entdeckt eine Fülle von Opfern. Faszinierend ist auch der Wandel der Opfer von Frauen zu Männern und von älteren Jahrgängen zu jungen Studenten.“

 

Alle drei Tatorte waren so gewählt, dass sie schnell entdeckt werden konnten. Er will das Publikum.“

 

Derek nahm einen Schluck Kaffee. „Das Ausbluten könnte ein Schlüssel sein.“

 

Reid war in Fahrt. „Es könnte sich um Saliromanie handeln. Er nutzt das Blut sich damit zu erregen. Saliromanie wurde erstmalig 1843 diagnostiziert…“

 

Aaron unterbrach den jungen Mann. Ich glaube nicht, dass es Saliromanie ist, dem wiedersprechen die Engelbilder und Texte und die klinische Präzision der Schnitte.“ Rossi nickte und er hatte die Texte analysiert. „Die meisten Wörter beziehen sich auf ihn selbst und seine Opfer. Zum Beispiel hier:“ Er wies auf einige der Fotos. „Er redet von sich als den Erlöser und Bringer. Seine Opfer bezeichnet er als Wertlose Hülle. Es scheint ihm immer nur um ihren Inhalt zu gehen. Blut, das Wasser allen Lebens, das befreit werden muss aus seinem Gefängnis. Es spricht viel Arroganz aus diesen Texten. Er glaubt nicht, dass ihn jemand stoppen könnte.“

 

„Sollten wir ihn verunsichern?“ Derek sah fragend zu Hotch.

 

„Besser nicht, das provoziert ihn und vielleicht macht er auch Fehler, aber es würde auch zusätzliche Opfer fordern. Das können wir nicht riskieren. Wir müssen ihn in Sicherheit wiegen.

 

„Ziemlich schräg der Kerl!“ Fournier versuchte sich in das Gespräch einzubringen. „Was sollen dann die Engel?“

 

„Möglicherweise ein Sinnbild für eine Person, die diesen Fetisch bei ihm ausgelöst hat.“ Rossi wies auf das Foto des ersten Opfers. „Eine schöne blonde Frau? Ein Engel? Wir können zurzeit nur spekulieren. In seinen Texten jedenfalls erwähnt er das Wort Engel kein einziges Mal.“

 

„Was mich verwundert ist der Opferwechsel! Was hat ihn ausgelöst? Warum junge Männer?“ Prentiss sah zu ihren Kollegen. „Detektive Fournier fährt Derek und mich gleich zu den Tatorten.“

 

„Seid vorsichtig da draußen, der Sturm hat die nächste Kategorie erreicht und nähert sich der Küste.“ JJ sah sie alle der Reihe nach an. „Ich bitte euch alle, vergesst über den Fall nicht den Sturm. Schon jetzt rät das Katastrophensamt die Schutzräume aufzusuchen.“ Wie um ihre Worte zu unterstreichen, flackerte das Deckenlicht kurz. Baton Rouge lag nicht direkt an der Küste, doch auch hier hatte Katrina gewütet und noch immer waren nicht alle Spuren beseitigt. Dieser Sturm sollte ähnliche Ausmaße annehmen. „Bitte seid vorsichtig da draußen.“

 

***

 

Keiner von ihnen nahm den Wartungstechniker war, der im Großraumbüro an der Lüftung tätig war. Keiner bemerkte, wie er heimlich Fotos machte und den Blick nur selten von dem kleinen Büro abwandte, in dem das Team der BAU sich beriet. Ein großer gutaussehender Afroamerikaner und eine hübsche dunkelhaarige Frau verließen das Büro, gefolgt von einer schwangeren blonden Frau. Sie war hübsch und ihre Schritte faszinierten ihn. Noch immer wurde in dem Büro diskutiert. Er hatte die Ankunft dieser Leute in den Nachrichten beobachten und sie hatten seine Neugierde geweckt.

 

Er war besser als diese Provinzcops und er würde auch besser als die Spezialisten des FBI sein. Sie waren zu siegessicher. Er würde sich nicht stoppen lassen. Fournier, der leitende Ermittler, und drei weitere Männer standen vor den Bildern seiner Meisterwerke. Er fragte sich, ob sie seine Botschaften wirklich verstanden. Zu gerne wäre er hinein marschiert und hätte sie ihnen erklärt. Doch da würden sich vielleicht andere Wege finden. Er lächelte. Diese Narren waren so naiv.

 

Er erhob sich und wandte sich dem uniformierten Beamten zu. „Alles klar. Die nächste Wartung erfolgt in einem halben Jahr. Wenn sie Probleme haben, rufen sie mich einfach an.“ Er reichte dem Mann seine Visitenkarte.

 

Wie gerne hätte er erlebt, wie diese hochbezahlten Profiler feststellten, dass er seinen Namen und seinen Adresse vor ihren Augen einem Officer überreicht hatte.

 

Er verlies das Department zügig und stemmte sich in den Wind, der ihn and er Tür empfing. Dieser Sturm elektrisierte ihn regelrecht. Die Luft knisterte und er machte sich auf den Weg zu seinem Wagen. Die Stadt wirkte wie ausgestorben, nur der Wind toste und riss Werbetafeln und Bäume um. Er hatte Katrina miterlebt und mitangesehen, wie Hunderte starben, was machten da ein paar mehr oder weniger. Dieser Sturm würde seine Bühne sein und er hatte ein versiertes Publikum.

 

Er stieg in seinen Wagen, den er um den Block geparkt hatte und fuhr Richtung Casino. Er hatte den Campus und die vielen jungen frischen Männer genossen, doch jetzt hatte man den Campus auch wegen des Sturms geräumt. Er musste sich an anderer Stelle umsehen, doch viele Menschen waren evakuiert worden. Er war sich aber sicher, gespielt wurde immer und so parkte er vor dem tristen Gebäude des Casinos. Etwas Junges sollte es sein.

 

***

 

„Hotch!“ Prentiss rief ihrem Boss hinterher, der gerade zur Tür hinaus wollte. „Ein Mann ist verschwunden.“ Sie holte auf. „Es muss nichts bedeuten, durch die Evakuierung geht alles drunter und drüber, aber er passt in das Profil.“

 

„Wer ist er?“ Hotch zog den Mantel wieder aus.

 

„Ein Mitarbeiter des Casinos. Er ist nach einer Zigarettenpause nicht zurückgekehrt und man hat seine blutbefleckte Jacke im Eingang gefunden. Sein Wagen steht noch vor dem Casino. Er ist jetzt seit…“ Sie sah auf die Uhr. „drei Stunden verschwunden.“

 

„Haben wir ein Bild?“

 

„Ja hier!“

 

„Du hast Recht! Er passt ins Muster.“ Aaron Hotchner stand lange vor dem Bild, bevor er wieder etwas sagte. Ihm gefiel das alles nicht. Der Kerl explodierte regelrecht und erhöhte sein Tempo. Sie mussten aktiver werden. Zwar hatten sie inzwischen ein Profil erstellt und die Behörden von Baton Rouge angewiesen, alle Motels des Ortes zu überprüfen, doch hatten sich bisher einfach keine Erfolge eingestellt.

 

Er und sein Team gingen davon aus, dass der Täter nicht aus Baton Rouge stammte, sondern aus der Umgebung. Da er sich seine Opfer aber zurzeit in der Stadt aussuchte und das in immer kürzeren Abständen, musste er irgendwo bleiben.

 

Die meisten Motels und Hotels waren dank der Sturmfront, die derweil den Namen „Arosa“ bekommen hatte, wie leergefegt. Auch sein Team hatte das Sleep Inn South Hotel fast für sich allein, nur einige Presseteams übernachteten dort. Es lag nahe der River Bridge, die heute Morgen gesperrt worden war. Der Sturm war nun zu einem der Kategorie 4 hochgestuft worden und sollte bald mit voller Wucht auf die Küste treffen. Zwar sollten sie hier vor den Sturmfluten halbwegs sicher sein, der Wind barg jedoch Gefahren genug.

 

Fournier musste viele Mitarbeiter für den Schutz der Zivilbevölkerung abziehen und so bearbeiteten nur sie und ein Rumpfteam den Fall.

 

„Derek und Spencer sind zum Casino gefahren. Sie wollen die Kollegen befragen.“ Hotch nickte zustimmend. Er wandte sich dem Tisch zu, auf dem sich etliche Akten stapelten. „Wie weit bist du?“

 

„Wir haben alle alten Fallakten studiert, die nur im Entferntesten mit den Profilfaktoren übereinstimmen. Wir haben 378 Fälle von Gewalttaten die während Katrina verübt wurden. Davon endeten 37 % tödlich, aber viele fallen raus, weil die Tatmuster zu stark abweichen.“

 

„Hat Garcia was?“ Hotch griff sich eine der Akten und studierte sie. Im Schatten des Wirbelsturms waren damals viele Verbrechen begangen worden.

 

„Nicht viel, sie lässt grad die Rechner die möglichen Fälle durchgehen und mit unserem Opferprofil abgleichen. Nur weiß ich nicht wie viel uns das bringt, da der Täter ja von seinem Schema abgewichen ist und nur noch Männer attackiert.“

 

„Das weiß man nie, aber ich denke der Kreis lässt sich noch weiter einschränken.“ Er nahm eines der Tatortfotos von der Wand. „Die Schnittmuster der Verletzungen sind sehr präzise. Sie versetzen ihn in die Lage, seine Opfer nach und nach ausbluten zu lassen. Somit hatte er genug Zeit seine Pamphlete und Symbole aufzutragen, ohne dass das Blut gerann.“

 

„Er muss dafür ungestört sein. Wie bekommt er das hin?“

 

„Indem er sich organisiert.“ Rossi hatte unbemerkt den Raum betreten. „Er geht sehr planvoll vor. Strukturiert. Er lebt vielleicht in seinem Wagen. Vermutlich ein Van oder ähnliches.“

 

Das Telefon klingelte und Prentiss nahm den Hörer auf. „Hallo ihr Lieben , ich habe gewirkt, gewuselt und gewonnen.“ Prentiss hatte das Telefonat gleich auf Lautsprecher gestellt. „Die anderen hören mit Penelope.“

 

„Oh, hallo da draußen. Wie ist das Wetter?“

 

„Was haben sie gefunden Garcia?“ Hotch hatte keine Zeit für Spielereien und unterbrach die junge Computerspezialistin, bevor sie weiter abdriftete. Er nahm ihr das nicht übel, es war ihre Art mit den Schrecken ihrer Arbeit umzugehen.

 

„Äh ja, also ich habe mich beim Opferprofil vor allem auf den Zeitraum kurz vor Katrina bis heute beschäftigt. Parameter waren die Art der Wunden, Alter und Abstammung der Opfer, sowie die Blutschmierereien. Ich habe vielleicht drei weitere Opfer ausfindig gemacht.“

 

„Drei!?“

 

„Ja. Das erste Opfer war eine 60-jährige Frau. Sie starb noch bevor Katrina auf zum Hurrikan erklärt worden war. Man fand sie in ihrem Haus und überall an den Wänden fand sich das Wort „Hate“. Im zweiten Fall ging es um eine 49-jährige Lehrerin, sie verschwand während des Sturms und wurde nie gefunden, aber ihr Blut wurde an einer Turnhallenwand entdeckt. Ich sende euch die Bilder gleich rüber.“

„Und das dritte Opfer?“ Rossi hatte sich über den Lautsprecher gebeugt, während Prentiss die wichtigsten Details mitschrieb.

 

„Diesmal ein Mann, auch er verschwand im Zusammenhang mit Katrina. Allerdings in der Woche danach, während der Aufräumarbeiten. Seine Leiche wurde aus einem überfluteten Haus geborgen. Zunächst hielt man ihn für ein Opfer der Flut, doch bei der Autopsie fand man gezielte Schnitte an seinen Knöcheln und Handgelenken.“

 

„Also ist er kein Neuling und mordet schon länger. Warum die lange Pause?“ Hotch legte die Akte wieder auf den Stapel zurück.

 

„Vielleicht ist der Sturm ein Auslöser. Garcia, gehen sie weiter zurück und untersuchen sie auch den Zeitraum von „Ivan“. Vielleicht ist unser Täter schon seit Jahren unterwegs.“

 

„Mache ich! Sie werden gar nicht merken, dass ich aufgelegt habe. Ich sende ihnen die Akten.“

 

„Garcia! Warten sie.“ Hotch war noch etwas eingefallen. „Je weiter sie zurückgehen, desto mehr sollten sie auch auf verkannte Selbstmorde achten. Vielleicht hat er seine ersten Taten noch verschleiert.“ Hotch beendete das Gespräch.

 

„Großer Gott, Hotch. Sie glauben er hat noch mehr auf dem Gewissen?“ Prentiss sah beunruhigt auf ihre Notizen.

 

„Ich glaube noch gar nichts, aber die Möglichkeit besteht, dass er schon seit Jahren unterwegs ist. Wir müssen herausfinden, womit es anfing. Vielleicht erfahren wir somit etwas über seine Motive. Vielleicht finden wir so den Stressauslöser.“

 

„Aaron!“ JJ riß die Tür, gefolgt von Fournier auf. „Wir haben ein Problem. Die Bilder sind live!“ Die junge Beamtin schaltete den Apparat ein und suchte kurz nach dem passenden Sender. Auf allen Kanälen waren die Auswirkungen von „Arosa“ zu sehen und das sah nicht gut aus. Doch dann wurde das Gesicht einer jungen Reporterin gezeigt.

 

„Wir stehen hier vor dem Fuller Building, dass vor kurzem evakuiert wurde. Zwei Schutzsuchende sprachen unser Aufnahmeteam an und führten uns hierher. Die Polizei ist bereits unterwegs, aber die Bilder sprechen Bände. Ein wahnsinniger Serientäter versucht im Schutz dieses Hurrikans seine Opfer zu finden und er verhöhnt die Polizei.“ Die Bilder zeigten eine große Turnhallenwand, die über und über mit Blut bemalt worden war. Die Kamera zoomte auf einige der Textpassagen. „Was sie hier sehen, ist das Werk eines mehrfachen Mörders. Wann wird die Polizei endlich aktiv?“

 

JJ drehte den Ton herunter. „Es wird bald auf allen Kanälen laufen.“ Fournier schob sich an ihre Seite. „Wir haben das Gelände derweil abgesperrt, aber bei dem Sturm ist es schwierig nicht den Überblick zu verlieren. Das Gelände wurde abgeriegelt und die Kollegen untersuchen alles. Ihre Kollegen sind auch bereits dorthin unterwegs.“

 

***

 

Derek drückte die Tür auf und der Sturm stellte sich ihm mit all seiner Macht entgegen. Sie waren beim Casino gewesen und hatten unter anderem die Aufnahmen der Überwachungskameras überflogen und einen der Polizisten angewiesen, sie dem Rest des Teams zukommen zu lassen. Die Kamera hatte nicht viel gezeigt, aber vielleicht konnte Penelope da noch etwas rausholen. Er hatte vollstes Vertrauen in seine Lieblingskollegin.

 

Doch jetzt mussten sie es erst mal bis zum Tatort schaffen und das Wetter schien eindeutig etwas dagegen zu haben. Reid folgte ihm und wurde direkt von einer Böe an die Wand gedrückt. Derek griff zu und zog den jungen Mann am Arm an seine Seite. Gemeinsam arbeiteten sie sich zu ihrem Wagen. Die Tür war kaum aufzudrücken und sie schafften es nur mit gemeinsamer Kraft. Als sie endlich im Wagen saßen, atmete Derek auf. „Wow!“

 

„Derek, sollten wir nicht lieber einen der Schutzräume aufsuchen?“ Reids Gesicht war kreidebleich und Derek konnte es ihm nicht verübeln.

 

„Der Täter wird sich davon auch nicht abhalten lassen. Wir müssen am Ball bleiben. Verflucht! Wir waren nur drei Minuten draußen und ich bin durchnaß.“

 

„Dann fahren wir los, desto früher kriegen wir eine warme Dusche.“ Er warf den Motor an, als etwas Dunkles auf die Windschutzscheibe zu flog. „Vorsicht!“ Derek riss die Arme hoch und mit einem starken Getöse knallte etwas großes Metallisches auf das Auto. Glas splitterte und er hörte sich selbst aufschreien und dann war es wieder vorbei. Nur der brausende Wind und das unaufhörliche Prasseln des Regens war geblieben. Derek atmete tief aus, versuchte seinen Herzschlag und seine Atmung zu regulieren. Die Scheibe war gesplittert und wies im oberen Drittel rechts ein gezacktes Loch auf.

 

Erschrocken sah er nach rechts zu seinem jungen Kollegen und er hätte nicht gedacht, dass dieser noch blasser hatte werden können. „Alles klar?“

 

Reid nickte zögerlich. Er sah auf seine zitternde rechte Hand. Einer der Splitter hatte ihm einen kleinen Schnitt am Handgelenk beigebracht. „Geht schon.“ Er sah zu Derek hinüber. „Können wir bitte fahren?“

 

Derek lächelte. Er mochte Spencer. Der kleine wirkte manchmal wie ein Blatt im Wind, konnte aber mehr einstecken als manch anderer. „Alles klar, sehen wir zu, dass wir ins trockene kommen.“ Er warf den Motor an und lies den Wagen langsam über den Parkplatz rollen. Er würde vielen Werbetafeln, Strommasten und Mülltonnen ausweichen müssen. Sie brauchten bald zwanzig Minuten bis zum Fuller Building.

 

Drinnen angekommen schüttelten sie den Regen ab und Reid versuchte seinen sturmverwehten Haaren Herr zu werden, was ihm nicht wirklich gelang. Einer der Officers vor Ort führte sie in die große Halle, deren Wand über und über mit Blut bemalt worden war.

 

„Keine Spur vom Opfer?“

 

„Doch, wir haben uns umgesehen und das hier entdeckt.“ Er wies auf einen Nebenraum und Derek und Reid folgten ihm. In der Mitte des Raumes lag ein junger Mann. Seine weit aufgerissenen Augen starrten an die Decke. Seine Arme waren ausgebreitet und unter seinen Händen hatten sich kleine Blutlachen gebildet. Auch am Hals hatte er einen tiefen Einschnitt, der vermutlich der finale Schnitt gewesen war.

 

„Er hat ihn für uns drapiert. Er will uns zeigen, dass er alles tun kann.“ Reid hockte sich neben den Toten. „Er fühlt sich im Sturm sicher.“

 

„Er muss stark sein. Der Junge ist nicht gerade ein Fliegengewicht.“ Er sah sich um. „Kaum Blutspritzer und exakte Schnitte quer zu den Schlagadern. Er muss den Jungen leicht betäubt haben, damit er still hält.“

 

„Bei den anderen Opfern hat man keine Einstichstellen gefunden.“

 

„Weil man vielleicht nicht danach gesucht hat.“ Derek sah sich im Zimmer um und besah sich noch einmal die Leiche. „Keinerlei Einstichspuren. Wir sollten die anderen Opfer noch einmal toxologisch untersuchen lassen.“

 

„Warum macht der Kerl das? Und was sollen diese Schmierereien?“ Der junge Beamte stand hinter ihnen und Derek seufzte. Immer wieder hatten sie es mit der Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit der örtlichen Behörden zu tun. Reid ersparte ihm dieses Mal die Antwort.

 

„So jemand tötet um sein inneres Bedürfnis zu befriedigen, er wird solange weitertöten wie das Bedürfnis auf einem Ritual basierend perfekt ausgelegt ist und weil die Realität niemals der Phantasie gerecht wird, bleibt dieses Bedürfnis weiter bestehen. Er wird nicht aufhören, bis wir ihn gefasst haben. Diese Bilder an den Wänden“ Reid wandte sich wieder Richtung Halle. „spiegeln das innere seiner Seele. Er will sich mitteilen. Es ist ihm wichtig, dass wir ihn wahrnehmen. Der Sturm ist seine Bühne und wir sind sein Publikum.“

 

Reid blieb vor der Wand stehen und analysierte die Wörter und Bilder, die der Täter mit Blut geschrieben hatte. Derek folgte ihm. „Was denkst du Reid?“

 

„Er hat mehr geschrieben und nur einen Engel gemalt, aber den besonders sorgfältig. Und hier, siehst du diese Zeile?“ Reid wies auf eine sehr kleine, die ganz rechts unten stand. Derek vermutete, die Textpassage war die letzte, die er verfasst hatte.

 

„Ein Zitat aus den Psalmen: Wenn er die Vergeltung sieht, freut sich der Gerechte, er badet seine Füße im Blut des Frevlers… Der Gerechte erhält seinen Lohn!“

 

„Reid, was hältst du hier von?“ Derek stand vor einem Satz, der ihn zutiefst beunruhigte.

 

Sein Kollege stand nachdenklich neben ihm und bis sich in seiner ganz typischen Art auf die Lippen. „Er fordert uns heraus!“

 

***

 

Nachdenklich sah er durch die Windschutzscheibe und die vielen rotierenden Lichter der Einsatzwagen vor dem Fuller Building. Ob sie seine Nachricht verstanden hatten? Sie waren die hochgelobten Spezialisten, sie sollten es verstehen, aber vielleicht würde er es ihnen noch deutlicher erklären müssen, nachhaltiger!

 

Seine Scheibenwischer versuchten ihm die Sicht zu erhalten, kamen aber gegen die Wassermassen kaum an. Etwas knallte seitlich gegen den Wagen, doch er zuckte nicht einmal. Wo andere Menschen in Panik gerieten wurde er immer ruhiger. Der Wind umtoste ihn, wehte um ihn herum, er hinderte ihn nicht, er schob ihn voran. Der Wind spornte ihn an, lies ihn all seine Zwänge abstreifen und beschütze ihn.

 

Er beobachtete, wie Bewegung vor der Tür entstand. Zwei der FBI-Agenten eilten zu ihrem Wagen und hechteten hinein. Er startete den Motor und folgte ihnen. Er wollte wissen, ob sie ihn verstanden hatten. Er hatte ihnen gesagt, wo sie hin sollten. Er folgte ihnen über die Chaserton Road und hämmerte mit seinen Fingern auf dem Lenkrad. Sie sollten jetzt abbiegen.

 

„Biegt ab! Ihr seid doch FBI-Supergenies! Los! Loooos!“ Wütend starrte er auf den Wagen vor ihm, der geradeaus fuhr. Warum fuhren sie nicht zum Denkmal? Zu seinem Meisterwerk. Wütend klopfte er immer wieder auf das Lenkrad ein. „Nein! Nein! Ich werde euch zeigen auf mich zu hören. Ihr werdet mir zuhören. Ihr werdet mir zuhören. Zuhören!!!“

 

***

 

„Alles klar Derek. Zieht euch um. Wir haben die Bilder hier und sind eurer Meinung. Wir holen euch dann am Hotel ab.“ Hotch legte den Hörer auf. Die Verbindung war miserabel gewesen, der Sturm hatte viele Leitungen gekappt.

 

„Was ist los?“ Rossi nahm einen Schluck aus seinem Kaffee.

 

„Die beiden haben nasse Füsse bekommen, nachdem ihr Wagen von einem Trümmerstück demoliert wurde.“

 

„Sind sie in Ordnung?“ JJ rückte ihren Stuhl zurecht. Sie hatte die letzten zwei Stunden versucht, die Berichterstattung einzugrenzen, mit mäßigem Erfolg. Ihr einziger Vorteil war hier, so seltsam es klang, der Sturm. Die meisten Sender brachten nur Sturmnachrichten. Vermutlich passte ihrem Täter das gar nicht, er schien die Öffentlichkeit durchaus zu mögen. Seltsam, dass er dies nicht schon bei den zurückliegenden Taten getan hatte.

 

„Ja. Ihre Windschutzscheibe ist zu Bruch gegangen und hat ihren Wagen überschwemmt. Wir holen sie nachher ab.“

 

„Aaron, ich habe vorhin mit dem Katastrophenschutz gesprochen, der Sturm wurde auf Kategorie 5 hochgestuft und hat die Küste direkt südlich von uns erreicht. Fournier wird seine Leute bald evakuieren. Das Department hat bei Katrina ein anderes Gebäude als Zentrale genutzt. Es war sturmsicher. Wir sollten uns auch nicht mehr draußen aufhalten. Es ist zu gefährlich.

 

Für einen Moment schwiegen sie alle. Es war klar, dass der Täter im Schutz des Sturms agieren wollte und damit rechnete, dass die Behörden mehr mit den Opfern des Hurrikans als mit der Suche nach ihm beschäftigt waren. Nach dem Sturm tauchte er wieder ab. Aber dieses Mal eskalierte der Täter, vermutlich durch die Medienaufmerksamkeit.

 

„Unsere einzige Chance ist der Sturm. Er wird wieder abtauchen, wenn er vorbei ist.“ Rossi stand auf und trat an die Wand, an der Prentiss gerade die neuesten Tatortbilder aufhängte. „Er fordert uns auf ihm zu folgen. Das Opfer wurde regelrecht aufgebart. Er sagt uns: Hier bin ich! Das ist mein Werk! Schaut alle hin und lest meine Botschaft und hier findet ihr das nächste! Es wird Zeit, dass wir ihm nicht mehr hinterher rennen sondern überholen.“

 

Aaron rieb sich über die Stirn. „Also gut! Prentiss, sie und JJ verlegen mit Fournier alle Ermittlungen in das Notfallzentrum. Wir räumen das Gebäude. Rossi.“ Er nickte dem älteren zu. „Wir gehen da raus und holen erst mal Reid und Morgan ab.“

 

„Was ist mit seiner Botschaft? Er will uns lenken. Lassen wir das zu?“

 

„Welche Wahl haben wir denn? Wir müssen ihn nur überholen.“ Er griff zu seiner Jacke und sah zu den Fotos. Sätze wie „Bade im Blute Sünder.“ oder „Ihr unwissenden, folget mir.“ Oder „Ich zeige euch meine Offenbarung“. Er schmiss mit Zitaten um sich, aber wenn man genau hinsah und einzelne Worte verband, sah man die eigentliche Botschaft: Stoppt mich!!!!

 

***

 

Es hatte eine Weile gedauert alles zusammen zu packen und für die Evakuierung vorzubereiten. Es war später Abend und stockdunkel, als Rossi und Hotchner vor dem Sleep Inn South Hotel vorfuhren. Die Fahrt war ein Hindernislauf gewesen. Die Uferstraße war überflutet gewesen und an der letzten Kreuzung war ihnen ein Welldach entgegen gekommen. Hotchner stemmte sich gegen die Tür und folgte Rossi in die Hotelhalle, deren Fenster mit Brettern vernagelt waren. Alles in allem nicht sehr einladend, aber bei diesem Sturm war jeder Schutz willkommen.

 

„Wir sollten uns beeilen.“ Der Hinweis sollte sie zum „Baker Monument“ führen und das Hotel lag auf dem Weg. „Wir haben schon zuviel Zeit verloren.“ Rossi schüttelte seine regennasse Jacke aus. Sie gingen den Flur entlang. In der Lobby hielten sich ein oder zwei Presseteams auf und ein Mitarbeiter versuchte noch immer die Sicherung der Fenster zu verstärken.

 

Aaron Hotchner musste seinem Kollegen zustimmen. „Was auch immer wir am Baker Monument finden werden, die Zeit rennt uns davon. Der Täter wird nach Ende des Sturms vielleicht wieder abtauchen, wie er es schon zuvor getan hatte. Doch etwas sagt mir, dass dieser Sturm anders sein wird. Der Mann ist eskaliert und er wird das ganze nicht mehr zurückschrauben können.“ Er nahm zwei Stufen auf ein Mal und erreicht vor Rossi den 1. Stock, in dem ihre Zimmer lagen. Derek und Spencer müssten eigentlich fertig sein.

 

Im ersten Moment sah er Derek zwar im Flur liegen, verstand die Situation aber nicht wirklich. Warum lag er da? Das war nicht richtig und ergab keinen Sinn. Auch Rossi erreichte nun die Etage und sah was er sah. „Großer Gott!“

 

Aaron hätte nachher nicht sagen können, wie lange die letzten Meter bis zu seinem Kollegen dauerten, doch sie kamen ihm ewig vor. Derek lag vor einer Tür, die Augen geschlossen und die Arme weit von sich gestreckt. Er wollte ihn nur noch erreichen, seine Finger an seinen Hals legen und einen Pulsschlag spüren. Das durfte einfach nicht sein. Rossi war direkt neben ihm und schneller. Seine Rechte tastete nach dem Puls, doch Aaron sah bereits die flatternden Augenlider und die zwei kleinen Brandmale an seinem Hals.

 

„Elektroschocker! Er lebt, aber sein Puls rast.“ Rossi drehte den jungen Ermittler vorsichtig um, doch Aaron war bereits von einem anderen Gedanken erfüllt. Das war die Tür zu Reids Zimmer. Vorsichtig erhob er sich, wusste er Derek doch bei Rossi in guten Händen. Erst jetzt sah er das Blut am Türknauf. Bitte nicht!

 

Er zog seine Waffe und öffnete vorsichtig die Tür. Im Zimmer war es dunkel. Vorsichtig schob er sich voran. Eine Laterne vor der Tür erleuchtete den Raum nur schwach. Er hielt die Waffe im Anschlag und schwang sie herum, doch der kleine Raum schien bis auf das breite Bett und den kleinen Schreibtisch leer. Das Bett. Dort war jemand, zugedeckt, als schliefe er. „Reid?“

 

Er war es und als Hotch das Licht einschaltete, erblickte er das bleiche Gesicht seines jungen Kollegen. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. „Hotch!“

 

Aaron wandte sich zu seinem Kollegen um, der in der Tür stand und mit geschocktem Blick nach rechts sah. Erst jetzt nahm Hotch die vielen Bilder und Texte wahr, die jede Wand in diesem Raum bedeckten. Soviel Blut!!! Wo kam das her? Er wandte sich um und schlug die Decke zurück. Blut! Überall Blut. „Mein Gott!“

 

Vor ihm lag Spencer Reid in seinem Blut. Doch auf dem zweiten Blick sah er, dass trotz des hohen Blutverlustes, die meisten Wunden nur oberflächlich waren. Seine Hände bluteten und auf seiner Brust waren mehrere Schnitte zu sehen, die fast wie Buchstaben aussahen. Rossi trat an die andere Bettseite. „Derek muss ihn gestört haben.“

 

Hotch tastete nach Reids Hals und ertastete einen langsamen Puls. „Wir müssen die Blutungen stillen. Sie machten sich stumm an Werk und rissen streifen aus dem Laken und verbanden seine Hände. Als David Rossi die Wunden auf der Brust abtupfte, schlug Spencer Reid die Augen auf und sah ihm direkt in die Augen. Seine Lieder schienen im schwer, denn er schloß die Augen gleich wieder für einen kurzen Moment. „Reid? Können sie mich hören? Sie müssen wach bleiben. Hören sie?“ Doch der junge Mann reagierte kaum.

 

„Er hat eine Einstichstelle am Hals.“ Hotch wies auf die kleine Stelle. „Reid, wenn sie uns hören, es ist alles in Ordnung. Sie müssen nur wach bleiben! Hören sie?“

 

Ein schwaches Nicken beruhigte ihn. Rossi hatte derweil einen Großteil des Blutes von der Brust entfernt, so dass die Schnitte besser zu erkennen waren. Dort stand in blutiger Schrift: „Hört zu!“

 

„Dieses Schwein!“ Rossi bedeckte die Wunden mit einem Tuch und zog sein Handy heraus und versuchte zur Zentrale durchzukommen und sah nach Derek, der noch immer im Flur lag. Aaron blieb bei Reid. Nur wenige Momente später war Rossi wieder da. „Kein Durchkommen! Das ganze Netz ist zusammengebrochen.“

 

„Wir müssen ihn selbst ins Hospital bringen, das ist nicht weit von hier.“ Aaron sah zu seinem Kollegen. „Das hätte nicht passieren dürfen.“

 

„Nein! Aber das beeinflussen wir nicht immer.“ Er nickte ihm zu und wandte sich an Reid. „Wir bringen sie hier weg.“

 

***

 

Sie hatten sich in der Lobby Hilfe geholt und so stützten zwei Journalisten eines kleinen Senders Derek, während die beiden Agents Reid hinabtrugen. Der Hotelmanager kam ihnen entgegen. „Hören Sie, sie können da nicht raus!“

 

„Der Junge muss in ein Krankenhaus. Wir nehmen den Wagen, dann sind wir sehr schnell dort.“

 

„Verstehen sie nicht? Sie können nicht mehr raus, der Sturm ist auf seinem Höhepunkt. Das wäre Wahnsinn.“ Der Manager stellte sich ihnen in den Weg. „Hören sie, ich habe eine Sanitäterausbildung. Ich kümmere mich um ihn und wenn der Wind nachlässt, bringen sie ihn hin. Einverstanden?“

 

Wie um seine Aussage zu bestätigen, knallte ein Baum gegen die Eingangstür und durchschlug eine der Scheiben. Alle zuckten zusammen und wichen zurück. Aaron sah sich um. Alle Mitarbeiter und Gäste hatten sich hier unten in der Lobby versammelt. Der Sturm toste laut. „Gut. Legen wir ihn dort hin und machen es ihm so bequem wie möglich.“

 

Derek kam langsam wieder zu sich. Die beiden Männer ließen ihn in einen Sessel sinken und Aaron hockte sich neben ihn. „Derek?“

 

Der junge Mann atmete schwer und hielt die Augen zusammengekniffen. Aaron hatte selbst ein mal einen Teaserangriff durchstanden, kein Vergnügen.

 

Rossi tippte ihn an. „Ich mache oben Fotos vom Tatort.“

 

„Ja. Gut!“ Aaron sah zu Reid herüber, der die Augen geschlossen hatte. „Ich bleibe bei den beiden!“

 

Aaron zog sein Handy hervor und wählte JJ´s Nummer, doch die Verbindung brach direkt ab. „Verflucht!“ Er wollte seine Kolleginnen und Fournier warnen. Dieser Täter war unberechenbar. Erneut klirrte Glas und alle Blicke richteten sich auf die Frontseite des Hotels.

 

„Hotch…“ Dereks Stimme klang zittrig. „Was ist mit Reid?“

 

„Ganz ruhig. Bleib sitzen! Er wird es überstehen.“

 

„Es ging so schnell. Ich wollte Reid abholen und hab an seine Tür geklopft. Sie ging auf und… dann…!“ Aaron legte seine Hand beruhigend auf seinen Arm. „Ich hab ihn nicht mal gesehen.“ Derek hielt sich mit beiden Händen den Kopf.

 

„Aber ich habe ihn gesehen.“ Aaron wandte sich erstaunt um und sah in die müden Augen seines jungen Kollegen. Das Sprechen schien ihm schwer zu fallen. „Ich… er hat mir irgendwas gespritzt… ich weiß nicht. Vielleicht Ketamin.“

 

„Du warst bei Bewusstsein?“ Hotch setzte sich an seine Seite. Reid lehnte erschöpft auf einem Kissen. Er war blas und zitterte leicht. Hotch wollte sich gar nicht ausmalen, dass Reid jeden Schnitt live mitbekommen hatte.

 

„Ja!“ Reid sah hilflos auf seine bandagierten Hände „Aber ich konnte mich nicht bewegen und es tat auch nicht weh. Er… trug einen Overall. Ich hab ihn schon mal gesehen. Im Department. Er hat dort an der Lüftung gearbeitet.“

 

„Er war auf der Polizeistation?“ Derek schaltete sich in das Gespräch ein. „Der Kerl ist dreister als ich dachte.“

 

Aaron gab Derek ein Signal still zu sein und wandte sich Reid zu. „Spencer. Was ist ihnen aufgefallen?“ Wenn sie Glück hatten, brauchten sie Reids Täterbeschreibung nicht einmal, wenn die Überwachungskamera im Department ihn aufgenommen hatte. Aaron zählte auf Reids gute Beobachtungsgabe.

 

„Er roch seltsam.“ Reid verzog den Mund in seiner ihm typischen Art. „Nicht sehr hilfreich, oder?“ Er schloß kurz die Augen und Aaron wollte ihn schon schlafen lassen, als er weitersprach. „Er war wütend. Er schwitzte stark und war hektisch. Seine Finger … tauchten immer wieder in das Blut in meinen Händen.“ Er blickte auf die Verbände. „An seinem rechten Handgelenk war ein Armband mit kleinen Engeln.“

 

Ein Krachen unterbrach ihn und er sah erschrocken über die Schulter. Die Frontseite des Hotels war komplett verglast und mit Brettern gesichert worden, die nun erzitterten. Etwas Schweres war dagegen geknallt. Ein erneuter Schlag und ein Knacken und Krachen. Der Wind drückte gegen die Wände und erste Risse durchzogen eine der Scheiben.

 

Der Hotelmanager stand nur wenige Meter davon entfernt, als die Wand endgültig brach und das Wasser hereindrückte.

 

***

 

JJ saß an einem Schreibtisch und versuchte ihre Kollegen zu erreichen. Sie machte sich Sorgen, da sie seit zwei Stunden nichts von ihnen gehört hatte und der Sturm derweil seinen Höhepunkt erreicht hatte.

 

„Sie werden niemanden erreichen. Das war bei Katrina auch so.“ Fournier reichte ihr einen Kaffee.

 

„Danke!“ Sie nahm einen Schluck. „Trotzdem mache ich mir Sorgen.“

 

„Berechtigt! Hier, versuchen sie es über das Festnetz, vielleicht sind sie noch im Hotel.“

 

„Gute Idee!“ Sie sah auf die Visitenkarte des Hotels, die sie eingesteckt hatte und wählte, doch außer einem Freizeichen hörte sie nichts. „Es geht keiner ran!“

 

„Normalerweise würde ich jetzt sagen: Seltsam. Aber nicht bei solch einem Sturm. Da achtet vermutlich niemand auf das Telefon.“ Fournier lächelte ihr zu. Er wirkte müde und hatte vermutlich viel zu wenig geschlafen. Er hatte einen leichten Dreitagebart und sein helles Hemd war ziemlich ramponiert. Doch trotz aller Müdigkeit führte er seine Mitarbeiter mit Verständnis und der notwendigen Strenge. JJ war beeindruckt von dem doch noch sehr jungen Mann.

 

„JJ? Hast du die neuen Tatortfotos?“ Prentiss kam auf sie zu. Sie hatte ihre Untersuchungsergebnisse in einem Raum zusammengetragen und dabei gründliche Arbeit geleistet. Mit der Hilfe von Penelope Garcia hatten sie eine Chronologie dieses Serientäters zusammenstellen können und diese Historie begann schon weit vor Katrina. Insgesamt kamen sie auf 13 mögliche Opfer. JJ sah kurz ihre Unterlagen durch und reichte ihr die gewünschten Bilder. „Hier!“

 

„Hast du Hotch und die anderen erreicht?“

 

„Leider nein.“ JJ schüttelte den Kopf. „Das Netz ist völlig zusammengebrochen.“

 

Fournier setzte sich auf die Tischkante des Schreibtisches. „Meine Leute ziehen alle die Köpfe ein. Wir können nur warten, dass das schlimmste vorbei ist. Da draußen kann zurzeit niemand existieren und die meisten Einwohner sind geflohen oder warten im Convention Center. Arosa wird sich austoben und danach werden wir viel zu tun haben.“

 

„Und unser Täter?“ JJ nahm einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse.

 

„Drei Möglichkeiten: Er geht bei dem Sturm drauf, er geht in Deckung oder er ist so abgebrüht und macht weiter. Hoffen wir das erste, vermuten wir das mittlere und befürchten wir das dritte.“ Fournier sah finster vor sich hin.

 

Emily sah überrascht zu JJ. Fournier schien tiefgründiger als gedacht. „Ich vermute er verkriecht sich. Das wäre zumindest meine Wahl.“ JJ stand auf und sah zu den Fernsehbildschirmen an der Wand. „Ich würde mich verkriechen!“

 

Die zwei Bildschirme zeigten den Fluß, der über die Ufer trat und die Mainstreet, über die gerade ein Auto gewirbelt wurde. Eine Reporterin versuchte sich im Wind aufrecht zu halten und wies auf die Szenerie hinter sich, wo ein Welldach vorbeiflog und gegen eine Hauswand krachte. Die Reporterin zuckte zusammen. Den Nachrichten nach, war das Zentrum des Sturms über ihnen und die Zerstörung der Stadt nahm ihren Lauf.

 

Der Sturm Katrina hatte 1836 Tote gefordert, davon allein 490 hier in Lousiana und er machte ungefähr 1 Millionen Menschen obdachlos. Niemand wusste wozu Arosa fähig war, aber es sah nicht gut aus.

 

***

 

Dereks Kopf dröhnte und die Stelle wo ihn der Teaser am Hals getroffen hatte schmerzte. Doch er hörte Reids Beschreibung des Täters gebannt zu. Er hatte seinen Kollegen nicht vor dieser grausamen Erfahrung schützen können und das nagte an ihm, aber Spencer Reid bewies wieder wie zäh er war.

 

Der Kerl hatte sie im Polizeirevier ausgespäht. Das hätte er ihm nicht zugetraut. Er spielte mit ihnen und dieses Spiel könnte für sie tödlich enden. Das Knallen an die Frontseite hatte auch ihn hochschrecken lassen. Er merkte gleich, dass er noch nicht wirklich wieder auf dem Damm war, als ihm schwindelig wurde. Doch das Gefühl dauerte nur kurz an und er beobachtete wie allen anderen auch das Erzittern der Holzschutzwände.

 

Das würde nicht halten. Er wusste nicht woher er diese Gewissheit hatte. Sie setzte sich in seinem Kopf fest und im gleichen Moment barst die Wand und die dahinterliegende Scheibe. Hotch warf sich schützend über Reid und Derek sah, wie der Manager des Hotels zurückwich.

 

Glasscherben flogen durch die Eingangshalle und jeder sucht Schutz wo es eben ging. Einer der Kameramänner hielt drauf, als plötzlich ein Schwall Wasser in das Gebäude eindrang. Sie waren nahe am Fluß und der Mississippi war noch nie berühmt dafür gewesen, in seinem Flussbett zu bleiben. Er musste massiv über die Ufer getreten sein.

 

„Wir müssen hier weg!“ Hotch wandte sich an den Manager. „Wohin würden sie sich zurückziehen?“

 

„Das Restaurant! Es liegt in der 1. Etage. Dort sind wir wohl sicher. Die Fenster dort sind alle gesichert worden und es müsste hoch genug liegen. Selbst bei Katrina war dieser Bereich nicht überspült worden.“

 

„Gut. Helfen sie mir.“ Gemeinsam begaben sie sich nach oben und richteten sich dort ein. Der Manager holte einige Kissen aus der Lobby hoch um es Reid auf einer Bank an der Wand so bequem wie möglich zu machen. Derek war froh, dass der Mann so kompetent war. Er selbst war immer noch wackelig auf den Beinen und das machte ihn wütend. Zudem ging ihm ein entscheidender Gedanke nicht mehr aus dem Kopf.

 

„Hotch!“ Derek hatte sich neben Reid gehockt, der nach der Anstrengung des Umzugs wieder das Bewusstsein verloren hatte. Er wollte wenigstens in seiner Nähe sein, wenn er schon nicht voll einsatzfähig war. „Hör zu! Der Kerl hat uns seit unserem Eintreffen in der Stadt beobachtet, uns herausgefordert und jetzt auch angegriffen. Vermutlich weil wir seiner Spur nicht gefolgt sind.“

 

„Worauf willst du hinaus?“ Auch Rossi tauchte nun hinter seinem Vorgesetzten auf.

 

„Dass er hier ist!“ Derek sah ernst zu ihnen herauf. „Hotch er ist hier. Alles andere macht keinen Sinn!“

 

„Vermutlich hat er Recht! Draußen tobt die Hölle, aber hier drin ist alles was er braucht. Er genießt unsere Aufmerksamkeit, das ist zurzeit alles was er will!“ Rossi hielt seine Kamera hoch. „Er teilt uns nichts anderes mit. Dieser Sturm ist seine Bühne und wir sind sein fachkundiges Publikum. Er will gesehen werden.“

 

Hotch wand sich an den Manager. „Wie heißen sie eigentlich?“

 

„Bob Larsson.“

 

„Ok, Bob! Haben sie hier im Haus eine Kameraüberwachung?“

 

***

 

Er schlug mit seiner blutverschmierten Hand immer wieder gegen die Stufenkante. Immer wieder. Sein Handballen schmerzte, aber noch nicht genug. Der Sturm toste um das Hotel und er sog die Geräusche auf wie ein nach Luft schnappender Ertrinkender. Sie waren hier! Er brauchte nur zu beginnen.

 

Der junge Agent hatte ihn beobachtet, als er seine Finger in dessen Blut getaucht hatte. In diesem Blick hatte keinerlei Vorwurf gesteckt, nur Verblüffung, wie er fand. Dieser Mann war erstaunlich gewesen. Er hatte ihn sich ausgesucht, weil er ihn für das vermeintlich schwächste Glied der Ermittler hielt, aber da hatte er sich geirrt.

 

Der Sturm heulte erneut über das über ihm liegende Dach. Er wollte ihn spüren. Er beendete sein immerwährendes Hämmern auf die Stufen und erhob sich. Wenn er die Tür zur Dachterrasse öffnete, kriegte er sie vielleicht nicht mehr zu. Es war eine massive Stahltür, die nach außen aufging. Wenn er den Riegel löste würde sie mit lautem Getöse aufspringen. Doch im Lärm des Orkans würde das untergehen. Er lehnte sich an die Wand und atmete tief durch.

 

Er hob seine Hände vor das Gesicht. Blut klebte an ihnen. Sein Blut! Noch nicht ganz trocken und er presste die Handflächen gegeneinander und verschmierte es. Er würde diesen Sturm zu seinem Freund machen und er würde denen dort unten zeigen, dass er den Sturm beherrschte und nicht der Sturm ihn. So wie sie vom Sturm beherrscht wurden. Er rieb die Hände gegen die weiße Wand und zeichnete einen Engelsflügel nach. Minutenlang starrte er auf die Wand, dann wand er sich um und stieß die Tür auf.

 

***

 

„Hier. Halten sie die Aufnahme hier an.“ Rossi wies den Manager an bis zu einer bestimmten Stelle zurückzuspulen. Es gab Überwachungskameras in der Lobby, dem Restaurant und im Treppenhaus. Der Flur, in dem Reid und Morgan überfallen worden waren, war leider nicht überwacht.

 

„Ja, genau.“ Auf dem Bildschirm war ein Mann zu sehen, der die Treppen hinaufging. „Sehen sie Hotch. Er trägt einen Technikeroverall. Das muss unser Mann sein.“

 

Der Agent beugte sich zum Bildschirm hin. „Kein Gesicht zu erkennen. Kennen sie den dem Mann?“

 

Bob schüttelte den Kopf. „Nein. Der arbeitet nicht bei uns. Das ist laut Timecode 10 Minuten bevor sie ihre Kollegen gefunden haben.“

 

„Wo geht es dort hin?“ Rossi sah auf die anderen Bildschirme.

 

„Der einzige Weg geht nach oben auf die Dachterrasse. Aber wer bei dem Sturm da hoch geht ist wahnsinnig.“

 

„Tja, das passt leider in unser Profil.“ Hotch nickte Rossi zu. „Hören sie Bob, ich will, dass sie zurück zu den anderen gehen. Schließen sie alle Zugangstüren zum Restaurant und warten sie dort mit meinem Kollegen.“

 

Bob nickte und schob den Stuhl zurück. Hotch und Rossi folgten ihm bis zur Eingangstür, wo Derek ihnen ungeduldig entgegenkam. „Was ist los?“

 

„Er ist vermutlich zum Dach hoch. Du hattest recht.“ Derek griff reflexartig an sein Holster, nur um wieder festzustellen, dass es leer war. Der Mistkerl hatte ihm seine Waffe genommen. „Verflucht!“

 

Hotch wusste, das Morgan darauf brannte, den Mistkerl zu erwischen. „Derek, du bleibst hier bei den Leuten und Reid.“

 

„Hotch, ich…“

 

Aaron schüttelte den Kopf. „Nein! Derek, ich brauche dich hier. Rossi und ich gehen hoch. Der Kerl ist unberechenbar. Auf den Aufnahmen ist kein Gesicht erkennbar, wir haben also nur die Beschreibung von Reid.“

 

„Seid vorsichtig da oben.“

 

***

 

Hotch hielt die Waffe im Anschlag, als er die Stufen hoch schritt. Seine Gedanken kreisten um all ihre Erkenntnisse über den Kerl. Er hatte nun bereits mindestens 7 Menschen auf dem Gewissen, wobei sie noch nicht alle Recherchen von Garcia kannten. Hotch war sich sicher, das dieser Kerl schon seit Jahren mordete.

 

Wie oft hatten sie Fälle bearbeitet, bei denen sich nach und nach Abgründe auftaten. Manche dieser Kerle hatten hunderte gemordet, bevor sie eine Spur hinterließen. Er sah um die Ecke und gab Rossi ein Zeichen.  Der ältere Agent sicherte ihn und nickte ebenfalls. Sie kamen der obersten Etage immer näher und die Sturmgeräusche nahmen hier fast überhand.

 

Ein heftiger Wind fegte durch das Treppenhaus. Als Hotch die letzte Biegung passiert hatte und um die Ecke sah, bemerkte er die offene Tür. Darum also. An der Wand sah er den Beweis, dass sie hier richtig waren. Ein blutiger Engelsflügel prangte an der gegenüberliegenden Wand. Durch die offene Tür fegte der Regen in den Flur, von ihrem Täter war weit und breit keine Spur.

 

„Ist er abgehauen?“ Rossi sah zweifelnd zur Tür. „Das passt überhaupt nicht. Er sucht die große Bühne!“

 

„Er sucht aber auch den Sturm. Ohne ihn kann er nicht. Es liegt nahe, dass er seine Nähe sucht.“ Hotch sah sich um, der einzige Weg der logisch schien, war das Dach. Er hatte Derek seine Zweitwaffe aus dem Beinholster überlassen. Derek hatte zwar gedrängt sie zu begleiten, aber er fühlte sich ruhiger, wenn jemand unten auf die Leute aufpasste.

 

***

 

„Agent Prentiss, Agent Jarreau! Schauen sie mal.“ Fournier winkte sie zu einem der ständig laufenden Fernseher. „Es gibt neue Bilder aus der Stadt.“

 

„Großer Gott!“ Prentiss setzte sich auf einen der Stühle. „Die Bilder zeigten Überschwemmungen rund um das Baton Memorial, Bilder aus der dortigen Notaufnahme und überflutete Straßenzüge. „Wo ist das genau?“

 

„Das sind die Uferregionen des Mississippi.“

 

JJ sprach aus, was ihnen allen bewusst war. „Dort liegt das Sleep Inn South Hotel, nicht wahr?“

 

„Ja!“ Fournier nickte. „Aber ihre Kollegen haben sich sicher im Hotel in Sicherheit gebracht und werden dort die schlimmste Phase abwarten.“

 

Fournier merkte, dass er damit nicht wirklich zur Beruhigung beitrug. Er hätte gern bessere Nachrichten, aber gute Nachrichten gab es heute vermutlich für alle sehr wenige. Er hoffte wirklich, dass die Agents so klug gewesen waren im Hotel Schutz zu suchen. Draussen flog alles was nicht gesichert worden war wie Geschosse durch die Gegend und er hatte bei Katrina selbst beobachten können, wie ein Verkehrsschild einen Officer enthauptet hatte. Nie würde er diesen Anblick wieder aus dem Kopf bekommen.

 

„Können wir nicht irgendwie Kontakt zu unseren Kollegen aufnehmen?“ Prentiss schien sich nicht damit abfinden zu wollen.

 

„Nein, zur Zeit vermutlich nicht. Die Telefonnetze sind zusammengebrochen.“ Fournier seufzte. Er hatte nicht nur eine Stadt, die unterging. Er hatte auch noch einen 14-fachen Mörder, der die Überlebenden bedrohte. Er konnte nur hoffen, dass die Agents eine Spur entdeckten und den Kerl schnappten. Er musste sich auf seine Stadt konzentrieren.

 

***

 

David Rossi trat mit gezogener Waffe an die Dachterrassentür. Täuschte er sich, oder lies der Sturm nach? Es war Wahnsinn dort heraus zu gehen. Irgendwie glaubte er nicht daran, aber der Kerl hatte sie schon mehrfach überrascht. Er hielt sich mit der einen Hand am Türrahmen fest, damit der Wind ihn nicht mit sich riss. Hotchner war nur wenige Schritte weiter und sicherte im Windschatten eines Lüftungsschachtes die Umgebung.

 

Der Wind ließ wirklich nach. Vorsichtig ging er auf das Dach hinaus. Im Geländer hingen einige Liegestühle, doch die meisten hatte der Sturm weggerissen. Es gab einen Aufbau, der eine Art Bar enthielt, jetzt jedoch halb aus seiner Verankerung gerissen war. Viele Plätze um sich zu verstecken. Aber am wahrscheinlichsten war, dass ihr Verdächtiger über die Feuertreppen verschwunden war. Mit der Waffe im Anschlag näherte er sich der Rückseite des Gebäudes, als er hinter sich ein knallendes Geräusch hörte. Ruckartig wandte er sich um und lies sich gleichzeitig auf ein Knie fallen, die Waffe im Anschlag. Nichts! Doch! „Aaron! Die Tür! Der Kerl hat uns hereingelegt!“

 

Gemeinsam stürmten sie zu der jetzt geschlossenen Tür. Sie war mit einem lauten Krachen ins Schloß gefallen und Hotch bemühte sich vergeblich sie zu öffnen. Sie war von innen verriegelt. „Der Kerl hat uns ausgesperrt.“

 

Der Sturm, so bemerkte er am Rande, schien immer weiter nachzulassen. Das kam so plötzlich, doch in ihrer Aufregung nahmen sie es erst gar nicht richtig war. „Was jetzt?“ Rossi sah zu dem jüngeren Kollegen. „Der Kerl spielt mit uns und jetzt wird er mit Morgan, Reid und den restlichen Gästen sein Spiel treiben.“

 

Ihnen war bewusst, dass der Täter jegliche Hemmungen abgestreift hatte. Er lief Amok und alles in seinem Weg war in Gefahr. Hotch zog sein Telefon heraus. Vielleicht konnte er Derek erreichen und warnen. Rossi versuchte erneut sein Glück an der Tür, vergeblich.

 

„Nichts! Verdammt.“ Hotchner sah sich frustriert um. „Wir müssen wieder in das Gebäude und das schnell!“ Er sah sich um. „Was ist denn mit dem Wetter los?“

 

Er wurde in seinen Gedanken durch das Klingeln seines Handys unterbrochen. Verwundert sah er auf dem Display Prentiss´ Namen. „Prentiss?“

 

Die Verbindung war sehr abgehackt, aber ausreichend, dass er seiner Kollegin eine kurze Situationsbeschreibung geben konnte. Laut Fournier hatte das Auge des Hurrikans sie erreicht und für eine Atempause gesorgt. Niemand konnte sagen, wie lange sie währte, aber sie sollten sie nutzen. Fournier versprach Verstärkung zum Hotel zu schicken. Hotch wunderte sich nicht zu hören, wie viele Opfer dieser Kerl schon auf dem Gewissen hatte. Der Empfang wurde immer schlechter und brach dann vollends ab.

 

Hektisch wählte er Morgans Nummer. Nichts! Frustriert sah er zu seinem Kollegen, der bereits an der Feuerleiter stand. „Das ganze Hotel ist umspült.“

 

***

 

Derek Morgan tigerte unruhig zwischen den Tischen des Restaurants auf und ab. Bob, der Hotelmanager hatte aus der Küche ein paar Getränke geholt. Derek mochte den Mann. Er packte an der richtigen Stelle zu und wusste was er tat. Er kümmerte sich um Reid, in dem er regelmäßig bei ihm vorbeischaute.

 

Reid zitterte noch immer leicht und schlief die meiste Zeit. Der Blutverlust hatte ihn sehr geschwächt und er war fürchterlich blass. Noch immer waren die zwei Kamerateams bei ihnen, auch wenn sich der Mann und die Frau von United Broadcast zur Zeit in der Küche aufhielten, um ihnen allen etwas zu Essen zu suchen. Morgan konnte drauf verzichten, er verspürte keinerlei Hunger, solange er nicht wusste, was dort oben vor sich ging.

 

„Derek!“ Die schwache Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

 

„Hi Kleiner! Wieder bei uns?“

 

„Ja, ich denke schon.“

 

„Wie fühlst du dich?“

 

„Überfahren trifft es am ehesten.“ Derek nahm aus den Augenwinkeln war, dass auch Bob näher kam. „Mir ist schlecht, kalt, zittrig und meine Brust tut weh.“ Reid zögerte einen Moment. „Was hat er geschrieben?“

 

Derek biss sich auf die Lippen. Er hatte es nicht selbst gesehen, die Wunde war schon verbunden gewesen, aber er kannte den Wortlaut dank Rossi.

 

„Hört zu!“

 

Reid nickte. Sie hatten seine Aufforderung zu diesem Denkmal zu fahren ignoriert. Er musste sie seit dem Polizeirevier verfolgt haben. „Wie sieht es aus?“

 

„David und Hotch sind ihm auf der Spur und zum Dach hoch. Wir haben ihn auf einem der Überwachungsbänder gesehen. Aber ich vermute der Typ hat die Sturmpause genutzt das weite zu suchen.“

 

Reid schien zu lauschen. „Die Sturmpause?“

 

„Wir befinden uns im Auge, vermutlich geht es gleich doppelt so schlimm weiter.“ Bob nickte finster.

 

„Es passt nicht zu ihm einfach zu verschwinden.“

 

„Was?“

 

„Unser Verdächtiger! Er würde nicht sein Publikum ignorieren. Er genießt es und will sich beweisen.“ Reid schien ganz in Gedanken versunken und Bob trat mit einem Glas näher heran. „Ihr Kollege sollte etwas trinken.“

 

„Ja Danke Bob! Was glauben sie wie lange der Sturm aussetzt? Können wir ihn vielleicht zum nächsten Krankenhaus bringen?“

 

„Das nächste wäre das Baton Memorial. Das wäre vielleicht zu schaffen, ist aber riskant. Niemand kann vorhersagen, wann es wieder losgeht und meistens ist es dann schlimmer als vorher.“

 

„Noch schlimmer?“ Reid sah zu Bob auf.

 

„Bei Katrina war es schlimmer. Das geht alles noch.“ Reid sah frustriert in den Raum, während sich Bob einen Stuhl heranzog. Das verbliebene Kamerateam hockte in einer Ecke und hatte die Füsse hochgelegt. Die Tür zur Küche schwang auf und der Kameramann, die Kamera geschultert, ging zum Treppenhaus hinüber. Reid runzelte die Stirn.

 

„Was?“ Derek hatte seinen Blick bemerkt.

 

“Ich weiß nicht. Irgendwas…“ Reids Gedanken schienen zu kreisen und dann gewann sein Blick an Klarheit. „Derek! Das Armband. Die Engel an seinem Armband!“ Reid deutete mit seiner verbundenen Hand hinter dem Kameramann hinterher. „Der Kerl trug dieses Armband!“

 

Derek verstand und auch die Tragweite dessen, was sein Kollege ihm dort mitteilte. „Sie bleiben hier beim ihm Bob!“

 

***

 

Hotch und sein Kollege hatten sich durch eines der Fenster im oberen Geschoss Zugang zum Hotel verschafft und eilten nun die Treppe hinab Richtung Restaurant. Als sie um die letzte Biegung bogen erblickten sie Derek Morgan, der mit vorgehaltener Waffe zu ihnen hoch schreckte. „Derek! Der Kerl ist im Gebäude!“

 

„Ich weiß, Reid hat ihn erkannt, als er in diesen Flur ging.“ Hotch fragte nicht wie. Jetzt galt es nur den Kerl endlich dingfest zu machen. Gemeinsam sondierten sie den Flur und das Foyer aus dem lautes Getöse klang. Der Wind und das Wasser drückten durch die zerstörten Frontscheiben und füllten den Eingangsbereich. Das Wasser stand hüfthoch und kein Täter war zu sehen. „Verflucht!“ Derek hieb mit der Faust  gegen eine Wandverkleidung.

 

„Was denkt ihr? Ist er raus?“ Rossi schüttelte ratlos den Kopf. „Das weiß keiner.“

 

Hotch nickte. „Gehen wir zu den anderen. Was war oben los?“

 

„Das Pärchen von United Broadcast war in der Küche, als der Kameramann aus der Küche kam und in Richtung Flur ging. Reid hat an seinem Arm das Band mit den Engeln wiedererkannt.“ Sie hielten die Waffen weiter im Anschlag. „Da liegt die Kamera!“

 

Derek hob das schwere Gerät an und drehte es. An der Linse klebte Blut. „Was hat dieses Schwein jetzt schon wieder getan?“

 

Sie sollten es bald erfahren. Als sie das Restaurant erreichten galt Aarons erster Blick Reid, doch der lag nicht auf seinem Lager. Vielmehr hatten sich alle an der Küchentür versammelt und das herrschende Schweigen verhieß nichts Gutes.

 

Aaron schob das zweite Kamerateam beiseite und erblickte Reid, der gestützte von Bob in der Küche stand. Blass. Entsetzt. Den Blick nicht von dem vor ihm liegenden abwenden könnend.

 

„Großer Gott!“

 

Rossi war mit Derek ebenfalls in die Küche getreten, die auf den ersten Blick völlig normal aussah. Bis auf  das Blutbad, dass sich hinter der ersten Arbeitsplatte auftat. Das Team von Broadcast United würde keine Berichte mehr senden. Der Mann, er hieß James Maywend, wenn sich Hotch richtig erinnerte, lehnte mit dem Rücken gegen einen Kühlschrank. Sein Hals war merkwürdig nach rechts hinten abgeknickt und sein ganzer Oberkörper war in Blut getränkt. Es wirkte, als hätte sich sein gesamter Blutvorrat um ihn wie ein See ausgebreitet und in mitten dieses Sees lag die leblose Gestalt der jungen Frau mit weit aufgerissenen Augen.

 

Während der Mann aus einer klaffenden Wunde am Hals blutete, schien die Frau unverletzt. Es sah fast unwirklich aus, wie sie mit ihrer hellen Haut in dem tiefdunklen Rot lag. Ihr Täter hatte es scheinbar so arrangiert. „Er liebt den großen Auftritt.“

 

Als das zweite Kamerateam sich von seinem Schock erholte und Fotos zu schießen begann löste sich Aaron aus der Starre, die sie alle überkommen hatte. „Derek! Bring die Leute hier heraus!“  Rossi reagierte auch und zog seine Kamera heraus um die Tatortszenerie festzuhalten, während Aaron sich hinabbeugte und zwei Finger an den Hals der Frau legte. Er erwartete keinen Puls und fand ihn auch nicht. Nachdem Rossi zwei Fotos gemacht hatte, hob er die Leiche der Frau kurz an und offenbarte eine klaffende Wunde in ihrem Rücken.

 

„Er muss sie völlig überrascht haben, sonst hätten wir im Restaurant etwas gehört.“ Er sah zu Reid, der sich kraftlos gegen ein Küchenregal lehnte. „Der Kerl wollte es uns beweisen! Ihr habt ihn nicht gekriegt?“

 

„Nein. Er kann noch immer hier sein.“ Aaron sah sich um. In einem Messerblock steckte ein blutiges Küchemesser, als würde er ihnen eine Trophäe zurücklassen. „Ich hab mit Prentiss gesprochen. Fournier schickt uns Verstärkung, aber es ist nicht sicher, dass sie durchkommt.“

 

„Der Sturm wird bald wieder losbrechen.“ Bob stützte noch immer Reid und war inzwischen mindestens genauso blass wieder er. Vermutlich hatte er erst jetzt realisiert, dass nicht der Sturm ihr ärgster Gegner war. „Wir…“

 

Er wurde von dem zusammensackenden Spencer Reid unterbrochen, den er mit Aarons Hilfe auffing. Gemeinsam halfen sie dem jungen Ermittler in den Saal zurück und legten ihn wieder hin. Schwer atmend und mit geschlossenen Augen lies sich Reid in die Kissen sinken.

 

„Ruh dich aus!“ Aaron nickte Bob zu. „Wenn Fournier auftaucht, versuchen wir dich in das Krankenhaus zu bringen. Ohne Boot kommen wir leider nicht mehr dahin.“

 

„Wie hoch steht das Wasser?“

 

„Der ganze Block ist überflutet.“

 

***

 

„Wir müssen noch einmal in das Department!“

 

„Auf gar keinen Fall. Das ist zwar nicht weit, aber viel zu gefährlich.“

 

Emily zog ihre Jacke vom Stuhl. „Der Kerl war im Department und hat uns ausspioniert. Auf den Überwachungsbändern ist vielleicht sein Gesicht zu sehen und wir könnten den Kerl endlich identifizieren.“

 

Fournier schüttelte den Kopf. „Für diese kleine Chance sollten sie ihr Leben nicht riskieren.“

 

„Wie weit ist es, ein halber Block? Das schaffe ich.“

 

„Nein! Das werden sie nicht!“ Wie um Fourniers Worte zu unterstreichen knallte etwas gegen die Hausfront und lies alle zusammenzucken. „Hören Sie! Wir warten noch etwas und dann können wir es versuchen. Aber jetzt geht es nicht und ich habe niemanden übrig, der sie begleiten könnte. Allein ist das Wahnsinn!“

 

***

 

„Wir haben jetzt 20 Opfer!“ Aaron stand in der Küchentür. „Wir müssen den Kerl schnappen bevor dieser Sturm vorbei ist, sonst taucht er wieder ab und die Spur wird kalt.“

 

Rossi schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht dass er verschwinden wird. Er will es uns beweisen. Will uns zeigen, dass er alles kann. Er wird nicht aufhören, bevor wir in fassen.“

 

„Vermutlich richtig.“ Aaron sah noch einmal in die Küche. „Wir müssen für die Sicherheit dieser Leute garantieren und ihn gleichzeitig suchen.“

 

„Das funktioniert nicht wirklich.“ Derek war hinzugetreten. „Das haben wir ja grad gemerkt.“

 

Die weiteren Presseleute saßen wild diskutierend in der Ecke des Restaurants und ihre nervösen Blicke sprachen Bände. Aaron sah sich weiter um. Reid schlief und Bob saß neben ihm und behielt den Eingang im Auge. Das Hotel hatte mehrere Etagen und der Kerl konnte überall stecken. Entweder saßen sie hier rum und verbarrikadierten sich oder suchten nach ihm, aber dafür waren sie zu wenig.

 

Der Sturm toste unermüdlich und ein Blick in die Lobby hatte ihn verraten, dass das Wasser unerbittlich stieg. „Und wenn er doch weg ist?“

 

„Das ändert nichts. Wir kommen hier jedenfalls nicht weg!“ Rossi drückte erneut auf seinem Handy herum, was nicht all zu viel Erfolg versprach. Sie waren abgeschnitten. „Vielleicht schafft es Fourniers Verstärkung durchzukommen.“

 

„Ja Vielleicht.“ Aaron sah nachdenklich zu den Lampen, die begonnen hatten unruhig zu flackern. Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich als der Raum plötzlich in trüber Dunkelheit versank. Durch die vernagelten Fenster drang kaum Licht und so erkannte man kaum die Hand vor Augen. „Auch das noch!“

 

Ein Feuerzeug flammte auf und beleuchtete das Gesicht des Hotelmanagers. „Auf den Tischen müssten Kerzen sein.“

 

***

 

„Wie hast du Fournier rumgekriegt?“ JJ musste fast schreien um den Wind zu übertönen. Emily stemmte sich in den Wind und drehte sich zu ihr um.

 

„Erstens bin ich nicht allein unterwegs und zweitens ist der Plan gut: Wir gehen durch die Gebäude und minimieren so die Zeit draussen.“

 

„Und zweitens?“

 

„Zweitens fuchst es ihn genauso wie uns, dass der Kerl sich einfach in das Department einschleichen konnte. Ich hab ihn an seiner Ehre gepackt.“

 

„Das war aber nicht fair!“ JJ grinste ihrer Kollegin zu.

 

„Nein! Aber es hat funktioniert.“ Emily stemmte sich gegen eine Tür. „Bist du soweit?“

 

Ihre Kollegin nickte und Emily Prentiss stemmte sich gegen den Sturm um die Tür zu öffnen. Sie hatte sie kaum einen Spalt aufgedrückt, als sie ihr aus der Hand gerissen wurde. Vielleicht war das alles doch keine so gute Idee gewesen. „Komm!“ Sie hielt sich eng an die Hauswand gedrückt um dem Wind so wenig Angriffspunkte zu bieten wie möglich. Trotzdem kostete es sie viel Kraft auf den Beinen zu bleiben.

 

Ihr Ziel lag nur einen Straßenbreite entfernt. Das Department lag dunkel und verlassen vor ihnen, Fournier hatte es vollständig räumen lassen, weil es nicht massiv gebaut worden war. „JJ!“ Emily hatte das Gefühl der Wind reißt ihr die Worte direkt davon, doch ihre Kollegin schien trotzdem zu verstehen, als sie zum gegenüberliegenden Haus wies. An der Dachkante hing wild tanzend ein großes Schild. Es schien sich jeden Moment lösen zu können und würde dann vermutlich genau auf sie zufliegen. Sie konnten hier stehen bleiben, sich zurückziehen oder endlich die Straße überqueren.

 

JJ nickte und hielt ihre Hand, während sie sich gemeinsam in den Wind stemmte. Sie hatten erst zwei Schritte geschafft, als das Schild sich löste.

 

***

 

Langsam kam das Licht zurück. Zwar nur in Form von Kerzen und Taschenlampen, aber immerhin saßen sie nicht mehr völlig im Dunklen. Bob hatte aus seinem Büro gerade noch eine Laterne hervor geholt und als er sie entzündete hatten sie wieder ausreichend Licht. Alles jenseits des Raumes lag allerdings in Dunkelheit. Kein sehr gutes Gefühl, wenn jenseits dieser Dunkelheit ein bewaffneter Irrer lauerte.

 

Rossi hielt die Eingänge des Raumes ständig unter Beobachtung, aber wenn der Kerl sich entschloss aus der Dunkelheit auf sie zu feuern, hatten sie kaum eine Chance. Doch eigentlich glaubte Rossi nicht daran. Das passte nicht in das Profil ihres Mannes.

 

„David.“ Er schrak auf, als Hotch ihm einen Kaffee hinhielt. „Ich hab noch eine heiße Kanne gefunden.“

 

„Danke!“

 

Sie waren jetzt alle schon lange auf den Beinen und der Kaffee kam genau richtig. Während er ihn trank lies Hotchner seinen Blick nicht vom dunklen Eingang. Auch er war nervös. Rossi nahmen einen Schluck. Der Kaffee war stark. Das war gut. Der Sturm hatte die letzte halbe Stunde mit aller Kraft über die Stadt gefegt, aber so langsam schien seine Kraft nachzulassen. Endlich!

 

Derek saß in einem bequemen Sessel und war eingenickt. Ungewöhnlich für den jungen Mann, der immer unter Anspannung zu stehen schien, aber der Teaserangriff hatte ihm eindeutig zugesetzt.

 

Bob verschwand wieder aus seinem Blickfeld um vermutlich weitere Lampen zu holen. Rossi rieb sich den Nacken. Auch Aaron Hotchner wirkte müde und abgespannt.

 

„Was meinen Sie, kriegen wir ihn?“ Die Frage verblüffte David.

 

„Irgendwann vermutlich.“

 

„Irgendwann reicht nicht! Der Kerl hat alle Hemmungen fallen lassen. Er handelt planvoll, vermutlich ein hoher IQ. Er geht keiner regelmäßigen Beschäftigung nach, ist vielleicht aber auch im Schichtdienst. Er ist gradlinig und kontrolliert und sozial angepasst. Der Sturm und seine Gewalt durchbricht diese Gradlinigkeit.“

 

„Er wird nicht mehr in sein altes Leben zurückkehren können.“

 

***

 

Der Wind raubte JJ den Atem und sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Das Schild war direkt hinter ihnen auf die Wand gekracht und hatte sich dann vom Wind davon wirbeln lassen. Es war Wahnsinn, sie hätten warten sollen bis der Sturm nachlässt, aber sie alle wollten den Kerl dingfest machen. Wenn der Sturm vorbei war, würde er abtauchen. Seine Identität würde ihm dies sicherlich erschweren.

 

Emily hatte den Eingang zum Revier erreicht und versuchte es mit den Schlüsseln von Fournier zu öffnen, während sich JJ am Geländer auf den Beinen zu halten versuchte. Sie sah nur einen Schatten auf sich zufliegen und bevor sie in Deckung gehen konnte spürte sie einen Schlag an der Seite und ein stechender Schmerz durchzuckte ihre Schulter. Die Welt um sie herum verdunkelte sich und sie hörte nur noch das Brausen des Sturms.

 

Der Sturm wurde leiser und plötzlich mit einem lauten Knall war der Sturm nicht mehr in ihrem Kopf. „JJ? Kannst du mich hören?“ Jemand rüttelte sie. „Komm schon JJ!“

 

„Was…?“ JJ versuchte ihre Augen zu öffnen und zu erkennen wo sie war.

 

„Ganz langsam. Du hast einen ziemlichen Schlag abbekommen!“

 

„Schlag?“ Sie stützte sich ab und lehnte sich an die Wand. Der Sturm tobte draussen. Hier im dunklen Revier herrschte nur ein dumpfes Brausen. „Autsch!“

 

JJ griff sich an die Schulter. „So ein Mist! Egal. Erledigen wir unsere Aufgabe, damit das ganze nicht umsonst war. Hilf mir hoch!“

 

Emily half ihr hoch und für den Moment hatte sie das Gefühl gleich wieder wegzusacken, doch ihre Kollegin hielt sie. Als der Blick sich wieder klärte steuerte sie den nächsten Stuhl an. „Danke!“

 

Emily griff gleich neben sie und zog einen Erste-Hilfe-Kasten hervor. „Es geht schon!“

 

„Nichts da! Erst stille ich die Blutung.“

 

„Blut?“ JJ griff sich an die Schläfe und sah dann auf ihre Hand. Zwischen ihren Fingern lief Blut. „Oh!“

 

***

 

Bob kramte im Sicherheitsbüro nach den Akkus, die es ihnen ermöglichen sollten ggf. die ganze Nacht Licht zu haben, denn er rechnete nicht so schnell mit einer Evakuierung. Diese FBI-Leute machten sich etwas vor, aber er hatte schon genug Wirbelstürme erlebt. Diese ganze Situation war mehr als … ihm fehlten die richtigen Worte das Grauen in seinem Hotel zu beschreiben. Der Anblick der beiden Leichen in der Küche hatte sich in sein Gehirn gebrannt. Die beste Methode nicht immer daran zu denken war Aktivität. Er kümmerte sich. Er kümmerte sich immer um seine Gäste und in diesem Fall war es halt das FBI.

 

Er hatte die Männer beobachtet, sie schienen sich blind zu verstehen und zu ergänzen. Dieser große, der mit dem Elektroschocker angegriffen worden war, hatte ihm von ihrer Arbeit erzählt. Bob wollte sich gar nicht vorstellen welchen Monstern sie schon begegnet sind. Der junge Dr. Reid hatte es zu spüren bekommen.

 

Das brachte ihn wieder zu dem Gedanken, dass dieser Kerl hier noch immer im Hotel war. Wie viele Opfer hatte er sich schon gesucht? Zwanzig. Bob griff in die Schublade und atmete auf. Da waren die Akkus. Jetzt nur noch zurück!

 

Das Sicherheitsbüro lag direkt neben dem Restaurant und er ging zur Tür. Der Flur lag in tiefer Dunkelheit und er leuchtete mit der Taschenlampe seinen Weg. Nur wenige Meter trennten ihn noch vom Speisesaal, als er inne hielt. Was war das? Da an der Wand?

 

Sein Lampenkegel fuhr die in Blut geschriebenen Schriftzeichen entlang. Bob stockte der Atem. Der Kerl war doch einfach nur krank! Bobs Aufmerksamkeit war völlig auf das Blut an der Wand fixiert, darum hörte er das leise Scharren hinter ihm nicht!

 

***

 

Reid schlug die Augen auf. Der Raum lag ziemlich im Dunkeln, erhellt nur von ein paar Kerzen und Laternen. Derek schlief in einem Sessel neben ihm und Aaron und David saßen in der Mitte des Raumes. Irgendwas in ihrer Haltung zeigte ihm, dass sie wachsam die Umgebung beobachteten.

 

Er fühlte sich jetzt kräftiger und schob sich etwas hoch in eine sitzende Position. Seine Hände schmerzten. Es würde eine Weile dauern, bis er sie wieder richtig nutzen konnte.

 

Er schloß kurz die Augen und hatte gleich wieder diesen seltsamen Geruch in der Nase. Er kam einfach nicht darauf, was es war.

 

„Wie fühlst du dich?“ Überrascht öffnete Spencer die Augen. Derek sah ihn durchdringend an, als versuche er mit den Augen seinen Gesundheitszustand zu taxieren. Eigentlich ein beruhigendes Gefühl, dass jemand über ihn wachte. Aber er fühlte sich besser und so schwang er die Beine über die Kante und setzte sich langsam auf. Das klappte doch schon mal ganz gut.

 

„Ich glaube ganz gut!“ Er versuchte sich ein Lächeln zu entlocken, um seinen Freund ein wenig seiner Besorgnis zu nehmen. „Wo ist Bob?“

 

„Was?“ Derek sah sich im Raum ab, aber dort war nur das Presseteam zu sehen. „Keine Ahnung!“ Auch Rossi und Hotch waren nun aufmerksam geworden und sahen zu ihnen herüber.

 

***

 

Ein Moment der Unachtsamkeit! Aaron könnte sich Ohrfeigen. Ihr stetiger Helfer Bob blieb verschwunden. Die ganze Zeit hatte er sich um das Wohl der anderen gesorgt und dabei die Gefahr missachtet. Hätte er sich nicht unterhalten, hätte er den Manager aufhalten können, aber so musste er aus dem Raum gegangen sein. Was dachte sich der Kerl, er wusste doch welche Gefahr ihm da draußen drohte.

 

Aaron wusste bereits, dass dies nicht gut ausging, sonst wäre Bob längst wieder bei ihnen. Es war ein Dilemma. Sie mussten eigentlich nach ihm suchen, vielleicht lies sich der Täter Zeit mit Bob. Das der Kerl ihn hatte war sicher. Aaron hatte da keine Zweifel.

 

Derek tigerte durch den Raum. „Aaron! Wir können hier nicht sitzen und auf Nummer sicher gehen, wenn der Kerl weiter mordet. Wenn er fertig ist, sucht er sich den nächsten und vielleicht ist dann der nächste von uns dran.“

 

Hotch nickte und Reid wusste, sein Vorgesetzter hatte eine Entscheidung getroffen. „In Ordnung! Wir gehen in die Offensive.“

 

Aaron nickte Derek zu. „Bist du wieder fit?“

 

„Ja!“ Mehr brauchte Aaron nicht. „David, sie bleiben bei Reid und den Leuten. Bleiben sie zusammen.“ Aaron zog seine Waffe und griff sich eine der Taschenlampen. Die Dunkelheit auf der anderen Seite des Türdurchgangs schien undurchdringlich und alles in ihm zog sich zusammen. Die Bedrohung war fast zu greifen. Aaron war sich bewusst, dass sie auch in eine Falle laufen konnten, aber vielleicht fühlte der Täter sich auch sicher.

 

Der Sturm blieb für ihn immer weiter im Hintergrund, seine Konzentration war jetzt auf das innere des Gebäudes gerichtet, der Sturm war hier nicht ihr Gegner. Derek hatte sich mit einem Messer bewaffnet, die zweite Waffe hatten sie bei Rossi gelassen. Sein Kollege gab ihm Zeichen und er übernahm die Deckung. Sein Lichtkegel strich die Wand im Flur entlang und die Blutschmierereien fielen ihnen gleich ins Auge. Der Kerl war wirklich abgebrüht!

 

*** 

 

Emily starrte auf die Bildschirme vor ihr. Der Sturm toste, doch er schwächte sich langsam etwas ab. Sie hatte die Stelle noch nicht gefunden. Mit einem Seitenblick versicherte sie sich, dass es ihrer Kollegin gut ging. Emily quälte sich mit Vorwürfen, denn JJ hätte auch tot sein können, weil sie unbedingt den Mann identifizieren wollte.

 

JJ hatte sich mit geschlossenen Augen zurückgelehnt. Emily hatte ihr einen Stirnverband und ein großes Wundpflaster auf einen Schnitt an der Schulter verpasst. Sie würde sich besser fühlen, wenn sich ein Arzt um JJ kümmerte, doch das war nicht machbar. Also konzentrierte sie sich auf das einzigste, was sie tun konnte: Sie würde den Täter identifizieren.

 

Sie spulte weiter und dann sah sie ihn! Der Kerl kam ins Blickfeld und sie konnte es kaum fassen, er drehte sich zur Kamera und grinste sie an! „JJ! Das glaube ich einfach nicht!“

 

„Hast du ihn?“

 

„Und ob! Der grinst frech in die Kamera!“ Emily machte ein Standbild und druckte es aus um es ihrer Kollegin zu zeigen.

 

„Er sieht so normal aus. Wie der Nachbar von nebenan.“ JJ reichte ihr das Bild zurück. „Und jetzt?“

 

„Jetzt versuchen wir dieses Bild irgendwie an Garcia weiterzuleiten und machen so viele Abzüge wie möglich davon, damit jeder Polizist ihn sofort erkennt.“

 

„Du bist optimistisch!“

 

„Nicht meine herausragendste Eigenschaft, aber manchmal kommt es durch.“ Emily konnte sich trotz der ernsten Lage ein Grinsen nicht verkneifen. Sie schaute sich um. Die Kommunikationsnetze funktionierten nicht, aber sie würden es wieder und so würde sie ein Fax an Garcia schicken. Die Wahlwiederholung würde irgendwann greifen.

 

„Bleiben wir hier?“ JJ rieb sich die schmerzende Schulter. Auch Emily hatte nicht wirklich Lust darauf sich noch einmal den Naturgewalten auszusetzen. Hier war es sicherer und sie würden es aussitzen.

 

„Ja! Ich schau mal ob der Kaffeeautomat noch funktioniert.“

 

***

 

Fournier hörte sich die neuesten Nachrichten an. Der Sturm zog langsam ab, aber es würde noch Stunden dauern bis man sich gefahrlos draußen bewegen konnte. Noch dazu war die Nacht hereingebrochen. Morgen früh würde sich das ganze Ausmaß der Zerstörung zeigen.

 

Doch die spärlich hereinkommenden Nachrichten zeigten schon jetzt, dass Arosa zwar nicht an Katrina heranreichte, ihr aber auch nicht in vielem nachstand. Die Küste war schwer getroffen worden und die noch von den Vorjahren gebeutelte Küstenregion würde an vielen Stellen wieder von vorne Anfangen müssen.

 

Der Fluß war in und um Baton Rouge über die Ufer getreten und vermutlich würde es Tage dauern, bis das Wasser sich vollständig zurückzog. Er war Teil der Katastropheneinheiten und sobald der Morgen graute, würden seine Leute mit Booten die Gegend nach Verletzten absuchen und den immer wieder den Stürmen folgenden Plünderer. Und nach dem Blutengel von Baton Rouge. Die FBI-Leute waren irgendwo in dieser Stadt und auch darum musste er sich kümmern. Eines der ersten Boote würde zu ihrem Hotel fahren. Fournier fluchte. Da draußen herrschte das Chaos. In seiner Einheit jedoch herrschte geschäftige Ordnung.

 

Das war wichtig. Auch Fournier versuchte Ruhe auszustrahlen, damit sich diese auf seine Leute übertrug. Bakers kümmerte sich um die Kommunikation, die noch immer nicht reibungslos lief. Doch erste Fortschritte waren zu sehen.

 

Lindsay Bolan versuchte die noch funktionierenden Überwachungskameras auszuwerten. Sie hatten jedoch die meisten verloren und so wussten sie nicht was in den meisten Stadtteilen vor sich ging.

 

Fournier sah auf die Karte an der Wand. Der Sturm würde weiterziehen und der Morgen würde zeigen, was von seiner Stadt noch übrig war.

 

***

 

Derek drückte sich an die Wand und spähte vorsichtig um die Ecke des Foyers. Doch die Dunkelheit war undurchdringlich. Nur einzelne Lichtblitze von draußen drangen durch die zerstörte Front. Derek gab Aaron ein Zeichen weiter zu gehen.

 

Sie gingen systematisch vor und überprüften Raum für Raum der Etage. Sollten sie hier nicht fündig werden, würden sie sich die nächste Etage vornehmen und wieder bis zum Dach vorarbeiten. Der Keller war derweil überflutet, an der Treppe waren sie auf Wasser gestoßen.

 

Die Sturm Geräusche machten es noch immer unmöglich sich in der Dunkelheit am Gehör zu orientieren und Derek war mehr als angespannt. Er hatte vorhin einen Schrei gehört, da war er sich sehr sicher, aber woher war die Frage. Sie schoben sich langsam den Flur weiter entlang und näherten sich den Wirtschaftsräumen des Hotels.

 

Im ersten Raum war nichts zu sehen, es lag still und verlassen da und im Licht der Taschenlampe war nichts Ungewöhnliches zu erkennen. Sie löschten das Licht wann immer es ging, um sich nicht selbst als Zielscheibe darzubieten. Aaron wies mit der Hand auf den nächsten Raum und Derek setzte sich wieder in Bewegung.

 

Es schien eine Art Lagerraum für Wäsche zu sein, die in Regalen bis zur Decke lagen. Nichts deutete auf etwas Ungewöhnliches hin, doch am Ende war eine weitere Tür und hinter ihr war unter dem Türspalt hindurch das Flackern einer Kerze zu sehen. Aaron machte Derek ein Zeichen ihn zu decken und ging voraus.

 

Die Tür war ein Problem. Sie wussten nicht was sie erwartet wenn sie sie aufstießen und beim langsamen öffnen konnte er sie zu früh bemerken. Aaron griff an den Türgriff und drückte ihn langsam und vorsichtig hinab. Es war logisch, dass er voranging, da er die einzigste Schusswaffe trug, aber Derek war es trotzdem nicht recht. Er wollte den Scheißkerl endlich zur Strecke bringen.

 

Die Sekunden schienen sich zu Minuten zu dehnen, während sein Kollege langsam die Türklinke hinabdrückte. Vorsichtig öffnete Aaron die Tür um sie dann unerwartet völlig aufzustoßen. „Derek! Er will abhauen!“

 

Im schwachen Licht des Kerzenscheins sah Morgan einen Schatten nach links hechten. In der gleichen Sekunde nahm er das ganze Blut auf den großen weißen Tüchern war. Es war die Wäscherei und in all dem Chaos sah er Bob zwischen zwei Regalen hängen.

 

Aaron stürzte ebenfalls nach links dem Schatten hinterher. Eine zweite Tür führte aus dem Raum und Aaron verschwand. Derek hatte genug gesehen und stürzte in den Lagerraum zurück. Alle Räume führen irgendwann auf den Flur zurück, die Chance war groß ihm den Weg abschneiden zu können.

 

Derek fluchte innerlich keine Waffe in der Hand zu haben, als er einige Türen weiter einen Schatten auf den Flur rennen sah und setzte ihm nach. Fast wäre er mit Aaron zusammengestoßen, der kurz vor ihm aus der Tür stürzte. Gemeinsam setzten sie ihm nach und rannten auf die Lobby zu. Der Kerl war schnell und mit einem Satz sprang er den Treppenabsatz zur Lobby herunter und verschwand unter der Wasseroberfläche.

 

***

 

Penelope tigerte seit Minuten planlos durch ihr Reich. Hier fühlte sie sich in der Regel wohl und sicher, aber immer wenn das Team seine Koffer packte und abreiste bekam sie es mit der Angst. Schon zu oft waren ihre Kollegen dem Bösen zu nah gekommen und sie hatte einfach Angst um sie.

 

Es beruhigte sie normalerweise das Team mit Informationen zu versorgen und stetig mit ihnen in Kontakt zu sein. Doch jetzt zeigte ihr großer Bildschirm eine Sattelitenaufnahme Nordamerikas und auf der Südhälfte sah sie eine dicke rotierende Wolke. Darunter… sie seufzte. Was würde sie darum geben, zu hören dass es allen gut ging. Doch sie hatte seit einer halben Ewigkeit nichts mehr vom Team gehört. Alle Verbindungen in die Region waren unterbrochen.

 

Die Nachrichten meldeten schwere Überflutungen, auch wenn die Zerstörung nicht an die von Katrina heranreichte. Die Bilder zeigten davonfliegende Dächer und Menschen, die sich in den Sturm stemmten. Sie war hier zur Untätigkeit verdammt. Sie hatte all ihre Ergebnisse weitergeleitet, jetzt musste sie warten und das lag ihr nicht. Nicht wenn sie gleichzeitig solche Bilder sehen musste und die möglich Bilder in ihrem Kopf übertrafen das ganze noch.

 

Sie zog sich ihre Jacke über und schauderte, als sie ein leises Piepen hörte. Das FAX-Gerät! Penelope brauchte nur Sekunden bis sie am Gerät war. Ungeduldig wartete sie bis das Blatt vollständig ausgedruckt war. Es war ein Bild eines Mannes der grinste. Penelope schauderte, es lag etwas triumphierendes und überhebliches in diesem Gesicht. Darunter erkannte sie Emilys Handschrift: „Täter bitte identifizieren. Fahndung. Prentiss“

 

Sie begann direkt mit ihrer Arbeit. Endlich konnte sie ihren Leuten helfen, etwas tun und sich von den Bildern im Fernsehen ablenken. Ihr Team war dem Kerl auf der Spur und alles würde gut werden. Sie wollte dies glauben und sie würde recht haben!

 

Sie scannte das Bild und lies es durch ihre Datenbanken laufen und glich es mit den Recherchen ab, die sie schon gemacht hatten. Das Profil, die Historie des Täters schränkte die Auswahl weiter ein. Gesichter flackerten über ihre Bildschirme und sie tippte unablässig mit ihrem Stift auf der Tischplatte herum. „Mach schon! Mach schon!“

 

***

 

„Siehst du ihn?!“ Aaron hielt seine Waffe auf die sich kräuselnde Wasseroberfläche gerichtet. Der Kerl war nicht mehr aufgetaucht, aber er hätte zwischen all den Trümmern versteckt Atem holen können, doch es war nicht zu sehen.

 

„Nein!“ Auch Derek sah wachsam über die überflutete Lobby. „Nichts. Glaubst du er haut jetzt ab?“

 

„Gute Frage. Der Kerl überrascht uns immer wieder. Ich traue ihm nicht über den Weg.“ Derek sah nervös zurück. „Wir müssen nach Bob sehen!“

 

Aaron war hin- und hergerissen. Zum einen musste sie auf seiner Spur bleiben oder zumindest sicherstellen, dass er im wahrsten Sinn nicht wieder auftauchte und zum anderen hing dort in der Wäscherei ein stark blutender Mann, der ihre Hilfe notwendig hatte. Er senkte die Waffe. „Wir informieren zuerst Rossi und kümmern uns dann um Bob.“

 

„Alles klar.“ Derek war einen letzten misstrauischen Blick auf die Wasseroberfläche. Sie würden von diesem Kerl noch hören, das war sicher.

 

Zwanzig Minuten später halfen sie Bob in das Restaurant, während Rossi den Eingang sicherte. Bob hatte Schnitte auf der Brust und verlor immer wieder das Bewusstsein. Reid, dem es sichtlich besser ging, hatte seinen Ruheplatz geräumt und sie legten ihn dort ab. Derek griff zum Verbandskasten und begann die Brust zu verbinden. „Er schafft das.“

 

Reid saß daneben und versuchte trotz seiner verletzten Hände über sein Handy irgendeinen Kontakt zu kriegen, was vermutlich noch länger ohne Erfolg bleiben würde.

 

Aaron trat zu Rossi, der die Tür im Auge hielt. „Was denkst du David? Ist er noch da?“

 

„Unbedingt. Er wird beenden was er begonnen hat. Es ist für ihn persönlich geworden. Wir sind sein Publikum. Das wird er nicht so schnell aufgeben.“

 

„Ich weiß nicht. Der Sturm flaut ab. Das hat ihn bisher immer zum abtauchen bewegt.“

 

„Das dürfen wir nicht zulassen, wir würden die Spur verlieren.“

 

„Er hat zwei Optionen: Er macht einfach weiter, eskaliert und es endet mehr als blutig oder er taucht ab und zieht weiter bis zum nächsten Orkan. Es würde schwer werden für ihn nach einem solchen Blutrausch wieder ins normale Leben über zu gehen.“ Aaron lauschte auf den Lärm des Sturmes. „Es wird weniger. Wenn er verschwinden will, bleibt uns nicht viel Zeit.“

 

***

 

Fournier stand am Bug des kleinen Motorbootes und sah durch die überfluteten Straßen. Noch immer regnete es und wehte ein kräftiger Wind über der Stadt und eigentlich war es noch zu früh um sicher durch die Straßen zu gelangen. Aber er hatte nicht mehr warten wollen und es hatte sich gelohnt. Sie hatten zuerst das Department wieder besetzt. Das Tageslicht setzte sich nur langsam durch.

 

Die Agents Prentiss und Jareau waren offenbar sehr froh ihn zu sehen und saßen jetzt hinten im Boot. Sie steuerten das Hotel ihrer Kollegen an und danach würde er JJ im Krankenhaus abliefern. Sie war noch immer sehr blaß um die Nase. Er ärgerte sich noch immer, dass er es zugelassen hatte, dass die beiden Frauen durch den Sturm gelaufen waren.

 

Aber es hatte sich gelohnt. Er zog erneut die Kopie des Überwachungsfotos heraus. Der Kerl hatte ein Gesicht und seit zehn Minuten auch einen Namen. Prentiss hatte einen Anruf aus Quantico bekommen. Keith Holland!

 

Er wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Überall fehlten Dächer, waren Strommasten umgeknickt und schwammen Trümmer. Es war sehr mühselig voran zu kommen, vielleicht brauchten sie noch fünf Minuten. „Ist es noch weit?“

 

Er hatte Emily nicht kommen hören und machte etwas Platz für sie. Sie sah so müde aus, wie er sich fühlte. Er warf einen Blick zu ihrer Kollegin. „Wie geht es ihr?“

„Sie ist hart im nehmen.“ Emily blickte umher. „Und bei Kathrina war es noch schlimmer?“

 

„Ja. Das Wasser stand auch höher. Trotzdem wird es wieder einige Zeit dauern bis alles Spuren beseitigt werden. Das Hotel liegt hinter dem nächsten Block.“ Er wies nach vorne, wo jetzt einige größere Bauten in Sicht kamen.

 

Sie sahen gleich, dass die gesamte Front des Hotels eingedrückt war und sich ein Bus in die Fassade geschoben hatte. „Großer Gott.“

 

Fournier sah ernst nach vorne. Ich glaube nicht, dass das ihr größtes Problem war. Sie hatten die FBI-Agenten noch nicht erreichen können und das machte ihm Sorgen, doch dann erblickte er neben dem Bus Derek Morgan, der ihnen entgegenwinkte. „Sehen sie!“

 

***

 

„Derek! Seid ihr in Ordnung?“ Emily umarmte ihren Kollegen, der sichtlich erschöpft aussah.

 

„Wir haben die Nacht überstanden, aber wir haben Menschen verloren. Wir haben Verletzte hier drin.“ Diese Aussage galt Fournier.

 

„Darum sind wir hier. Agent Jareau  sollte auch ärztlich untersucht werden.“ Dereks Blick ging ans hintere Ende des Bootes, wo ihm JJ müde zuwinkte. „Wir sollten uns beeilen, es müssen noch viele Verletzte geborgen werden. Was ist mit dem Täter?“

 

„Wie vom Erdboden verschwunden oder viel mehr abgetaucht.“ Derek führte Emily und Fournier durch die überflutete Lobby. „Er hat noch den Manager erwischt, aber er hat überlebt. Wir brauchen hier noch ein Spurensicherungsteam, aber erst mal sollten wir Bob und Reid ins Krankenhaus bringen.“

 

„Wie geht es Spencer?“ Doch Emily konnte sich die Frage selbst beantworten, denn ihr junger Kollege geriet ins Blickfeld. Reid lächelte sie von einem Stuhl an. Er war blaß, seine Hände waren dick verbunden, aber er lächelte. Sie beeilte sich ihre Kollegen auf den neuesten Stand zu bringen.

 

„Keith Holland also…“ Aaron sah nachdenklich auf das Foto. „Zwanzig Menschen hat dieser Kerl auf dem Gewissen.“

 

„Penelope hatte sogar noch mehr über ihn. Er verlor seine Eltern bei einem eher kleinen Wirbelsturm 1960. Der Zeitungsmeldung nach ist seiner Mutter damals von einem Trümmerteil am Hals getroffen worden und im Arm ihres 8-jährigen Sohnes verblutet.“

 

„Das könnte das Trauma sein und der Wirbelsturm Camille war der Stressauslöser. Es passt alles zusammen.“ Rossi half Fourniers Kollegen Bob transportfähig zu machen. „Stellt sich nur die Frage was er jetzt macht.“

 

„Das ist gleichgültig, erst mal gehören diese drei ins Krankenhaus. Fournier, können sie einen der Leute entbehren hier aufzupassen?“

 

„Geht eh nicht anders, das Boot wird sonst zu voll.“

 

*** 

 

***

 

Es waren einige Stunden vergangen und David Rossi fühlte sich unendlich müde. Sie alle waren zum Hospital gefahren und er war erschrocken über die massive Zerstörung in der Stadt und gleichzeitig bewunderte er den Gleichmut und die Hilfsbereitschaft der Bewohner, die sich davon nicht aus der Ruhe bringen ließen.

 

Aaron und Emily waren bereits wieder auf dem Weg zum Police Department um die Fahndung nach Holland zu koordinieren. Wobei dies in all dem Chaos nicht wirklich möglich war. Fournier brauchte die meisten seiner Leute zur Menschenrettung. Das hatte für ihn jetzt oberste Priorität. Es lag am Team der BAU den Serienmörder zu fangen.

 

Die Stadt war ersten Luftaufnahmen zu Folge zu ungefähr 40 % überschwemmt, aber das Wasser zog sich in vielen Straßen bereits wieder zurück. Das Krankenhaus war voller hektischer Betriebsamkeit. Überall standen verletzte Menschen oder besorgte Angehörige. Die Ärzte liefen geschäftig durch die Flure.

 

Er sah Derek und JJ am Ende des Flures auftauchen. Aaron hatte darauf bestanden, dass auch Derek sich durchchecken lies. Dieser hatte sich zwar gesträubt, aber letztlich gebeugt. „Hi ihr zwei, alles klar?“

 

Derek nickte und auch JJ lächelte zerknirscht. „Ich soll mich in nächster Zeit von fliegenden Gegenständen fernhalten und den Kopf einziehen. Leichte Gehirnerschütterung und drei Stiche an der Schulter. Leichter Bürodienst ist genehmigt. Was ist mit Spencer?“

 

„Der hat ein Zimmer angeboten bekommen, aber bei der Vielzahl der zu versorgenden Verletzten hat er den Arzt rumgekriegt ihn gehen zu lassen. Sie versorgen noch seine Hände, dann können wir alle ins Department zurückkehren.“

 

„Und er war wirklich bei Bewusstsein als der Kerl ihm die Brust geritzt hat?“ JJ schüttelte besorgt den Kopf. „Ja. Da ist er ja.“ Eine Krankenschwester schob Reid den belebten Flur entlang auf sie zu.

 

„Wir können los.“ Reid wollte aufstehen, doch die Schwester drückte ihn sanft zurück und lächelte Rossi auffordernd zu. „Übernehmen sie ihn?“ David nickte und schickte sich an zum Ausgang zu steuern. „Er soll sich nicht anstrengen. Sie achten mir darauf, ja?“

 

„Darauf können sie sich verlassen, Schwester…“ Er sah kurz auf das Namensschild. „Hunter.“ Damit schob er voran und steuerte den Ausgang an.

 

Es war ganz klar, dass Reids Gedanken nicht still stehen konnten. „Habt ihr schon was gehört? Ist Holland schon aus der Stadt oder versteckt er sich?“

 

„Ich denke er will weg, aber es ist nicht so leicht hier raus zu kommen. Die Spur ist aber kalt.“ Derek hielt ihnen die Tür auf. Der Sturm war noch immer präsent und blies ihnen unangenehm ins Gesicht.

 

„Nein, das glaube ich nicht. Er ist hier noch nicht fertig. Er ist mit uns noch nicht fertig.“ Reid sah zu seinem Kollegen auf. „Ich hab diesen Typen erlebt, es ist etwas persönliches für ihn geworden. Es geht ihm nicht mehr um die Opfer, es geht ihm um uns.“

 

„Er wird vielleicht versuchen in der Masse der Evakuierten unterzutauchen.“ Rossi steuerte auf den Streifenwagen zu, der sie zurückbringen sollte. „Fragen wir Fournier, wo herrscht der meiste Trubel nach so einem Sturm herrscht.“

 

***

 

„Am Convention Center! Von dort werden die Leute zum Busterminal gebracht und evakuiert, falls notwendig.“ Der Chef des Departments saß mit ihnen in seinem Büro. Draußen herrschte hektisches Treiben und auch Fournier würde sich bald wieder den Rettungsarbeiten widmen müssen. Die Armee schickte Unterstützung um bei Rettung, Aufbau und gegen Plünderei zu helfen und Fournier würde die Einsätze koordinieren müssen.

 

„Er muss aber nicht dort sein, vielleicht hat er längst einen Weg gefunden, die Stadt zu verlassen.“ Emily hatte sich mit Reid auf das bequeme Sofa gesetzt.

 

„Das glaube ich nicht.“ Sie hatten inzwischen eine stabile Verbindung zu Garcia etablieren können. „Ich habe Hollands Namen auf den Evakuierungslisten von Katrina überprüft. Er war damals auch mit einem Bus evakuiert worden.“

 

„Sehr gut gemacht. Also ist es klar, wir überwachen das Convention Center und den Busterminal. Gibt es dort eine Kameraüberwachung?“ Fournier nickte. „Im Grunde genommen schon, ich weiß nur nicht wie viel davon noch intakt ist. Am Busterminal gibt es eine Überwachungszentrale.“

 

Aaron stand auf. „Es ist vielleicht unsere einzigste Chance, den Kerl noch zu erwischen. Reid, JJ – ihr bleibt hier und unterstützt Garcia. David, sie übernehmen den Busterminal. Derek, wir zwei fahren zum Convention Center.“

 

„Hotch! Ich glaube es wird dieses Mal anders sein. Der Kerl haut nicht ab.“

 

„Ich weiß Reid, aber wir können auch nicht auf seinen nächsten Schritt warten. Das Convention Center scheint mir die beste Chance. Fournier, ihre Leute sollen die Augen offen halten. Vielleicht taucht er woanders auf.“

 

„Meine Leute haben alle das Bild und auch die Armeeeinheiten kriegen das Fahndungsfoto gerade zugespielt. Wir werden alle nach ihm suchen, sofern die Rettungsarbeiten es zulassen.“

 

„Wissen sie schon wie viele Opfer der Sturm gefordert hat?“ JJ rieb sich die schmerzende Stirn.

 

Fournier schien kurz nachzudenken. „Rechnen wir die Opfer dieser Bestie nicht dazu waren es 6 Todesopfer. Die Verletzten sind noch ungezählt.“

 

***

 

Derek war vor zehn Minuten am Convention Center angekommen und strich durch die Menge, während Aaron in der Sicherheitszentrale die noch intakten Kameras überwachte. Rossi hatte sich von ihnen getrennt und mit zwei Beamten den Busterminal übernommen. Es wäre ein Glückstreffer Keith Holland in der Menge zu entdecken, aber eine bessere Chance hatten sie zur Zeit nicht.

 

Holland hatte sich sicher Zutritt zu einem Haus oder Geschäft verschafft und neu eingekleidet, vielleicht auch seinen Typ verändert. Daher hielt er vor allem nach Männern Ausschau, die sich ungewöhnlich verhielten. Gesenkter Kopf und Eile waren nur zwei der Verhaltensmuster eines Flüchtigen.

 

Das Elend am Convention Center war enorm. Überall saßen ganze Familien auf Decken und warteten. Nur wenige würden die Stadt verlassen hatte Fournier ihnen erklärt. Die meisten harrten aus, bis die Polizei ihre Wohngebiete wieder frei gab oder das Wasser ausreichend zurückgegangen war. Alte Leute saßen mit starrem Blick und hielten meist eine Tasche umklammert. Vermutlich ihre Besitztümer, die sie in der Eile zusammenraffen konnten. Sie sahen teilweise aus als hinge ihr Leben daran. Derek wollte ich nicht vorstellen wie es war, wenn einem von einem langen Leben nicht mehr als eine kleine Tasche blieb.

 

„Derek! Wo steckst du. Ich kann dich nicht entdecken.“ Aarons Stimme kam über seinen Ohrstecker. Kein gutes Zeichen, wenn Aaron ihn nicht sah. Viele Kameras, vor allem vor dem Gebäude funktionierten nicht mehr. „Ich bin auf dem Vorplatz.“ Viele Menschen verließen bereits das Convention Center auf der Suche nach ihren Angehörigen oder auf dem Weg in ihr Zuhause. Busse standen an der Straße um sie in ihre Stadtviertel oder zum Busterminal zu bringen. „Ich beobachte die Passagier der Busse. Irgendetwas Neues?“

 

„Nein. Auch nicht bei Rossi. Halt die Augen offen.“ Das tat er. Da konnte sich sein Kollege sicher sein. Er hatte mit diesem Kerl noch eine Rechnung offen. Was er Reid und Bob angetan hatte, seine Wut war mehr als groß. Dieser Mistkerl spielte mit seinen Opfern und er würde verhindern, dass er einem seiner Freunde noch einmal etwas antat.

 

Reid meinte er würde nicht verschwinden, weil er bereits zu weit gegangen war. Er würde nicht mehr in sein altes Schema zurückfallen können und solange vor ihren Augen weitermachen bis sie ihn erschossen. Derek neigte dazu sich dieser Meinung anzuschließen. Holland konnte weder in sein altes Leben zurück, noch sich selbst richten. Er würde sein Publikum bis zur letzten Minute auskosten und mit einem großen Bang in Baton Rouge von der Bühne gehen. Die Frage war nur, wie viele Opfer ihm vorher noch zum Opfer fallen sollten.

 

Wenn es nach Derek ging nicht ein einziges. „Derek, siehst du den Typen mit der Basecap aus dem Gebäude kommen?“ Sofort war seine Aufmerksamkeit wieder auf die Menge gerichtet. „Nein! Noch nicht… warte. Grüne Jacke?“


“Ja! Genau! Behalte ihn im Auge. Er ist hektisch, weicht den Kameras aus und sieht sich häufig um.“

 

„Ich bleib an ihm dran.“ Derek näherte sich dem Mann durch die Menschmenge langsam. Dabei versuchte er im Strom mitzuschwimmen, damit er nicht auffiel. Er würde Holland nicht erreichen, wenn er ihn jetzt entdeckte, dafür waren hier zu viele Menschen. Er könnte auch eine Geisel nehmen und das würde kein gutes Ende nehmen, daher ging Derek lieber langsam vor.

 

Schritt für Schritt arbeitete er sich an den Mann heran. Ja, das konnte er sein. Statur, Haarfarbe und Größe passten und Aaron hatte Recht, er bewegte sich hektisch und vorsichtig. Derek war fast hinter ihm, nur noch wenige Schritte. Derek zog seine Waffe und informierte seinen Kollegen. „Aaron, das ist er. Ich bin fast dran. Schick mir Verstärkung.“

 

„Ist gleich da. Sei vorsichtig, der Kerl ist zu allem bereit!“

 

***

 

Fournier stand vor der großen Karte seiner Stadt und hielt eine Menge Zettel in der Hand. Ständig kamen neue Meldungen herein und er koordinierte seine Leute. Im Norden der Stadt sah es ganz gut aus, aber die Viertel in der Nähe des Flusses hatten stark gelitten und seine Männer durchsuchten dort die Häuser nach Überlebenden.

 

JJ trank einen Schluck Kaffee und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm. Garcia hatte ihnen alle Informationen zugesandt, die sie über Keith Holland finden konnte. Das war eine ganze Menge, denn er hatte außerhalb der Stürme ein ganz normales, wenn auch einsames Leben geführt. Sie suchten nach dem Auslöser seiner Taten.

 

Ihr Kollege saß noch immer auf dem Sofa in  Fourniers Büro und blätterte in den Akten der Fälle. Mit äußerster Vorsicht wie JJ wahrnahm, denn Spencers Hände waren dick bandagiert.

„JJ!“ Er sah zu ihr hinüber und winkte sie heran.

 

„Was hast du?“ Sie setzte sich neben ihn.

 

„Holland hat unheimlich wütend darauf reagiert, dass wir nicht zum Baker Monument gefahren sind. Es muss eine ganz besondere Bedeutung für ihn gehabt haben. Er ist in seinem Verhalten regelrecht explodiert.“ Er drückte sich hoch und ging zur Karte. „Das Baker Monument liegt genau in der Mitte des State Capitol Parks. Das muss eine Bedeutung für ihn haben. Gibt es in der Biografie von Holland eine frühere Verbindung zu Baton Rouge?“

 

„Er hat in vielen Städten gelebt, schon seine Eltern sind oft umgezogen.“

 

„Haben sie auch mal in Baton Rouge gelebt?“

 

„Ja, in den 60ern. Aber nur ein Jahr, danach verliert sich die Spur nach dem Tod seiner Mutter eine ganze Weile. Holland taucht dann in Memphis wieder auf.“

 

„Lass mich raten, seine Eltern haben damals im Garden District gewohnt.“

 

„Ja, direkt am Lakeland Drive, da wa er 7 Jahre alt.“ Sie kam zu ihm an die Karte. „Das liegt in Sichtweite des Capitol Parks.“

 

Fournier trat heran. „Die ganze Ecke wurde wegen möglicher Überschwemmungen evakuiert, dort konnte er sich frei bewegen. Aber das Wasser ist nur bis hier,“ er wies auf eine Straße weiter westlich, „vorgedrungen. Der Park wurde größtenteils verschont.“

 

Reid strich sich über die Brust. „Er war wütend, weil wir nicht dort waren, ihm nicht zugehört haben. Der Ort hatte enorme Bedeutung für ihn. Wir sollten uns das ansehen.“

 

„Der Sturm wird vermutlich alle Spuren vernichtet haben.“ Fournier schüttelte den Kopf. „Was sollte das bringen?“

 

„Ehrlich? Ich weiß es nicht. Aber es war ihm wichtig genug es mir auf die Brust zu ritzen. Ich will sehen, was er uns zeigen wollte.“

 

JJ war sich nicht sicher was sie davon halten sollte, andererseits hasste sie es hier untätig zu sitzen. Meistens lag Reid mit seinen Überlegungen richtig, aber es würde Aaron nicht gefallen. „Also gut, schaffst du das schon wieder?“ Ihr Kollege nickte.

 

„Ich gebe ihnen einen meiner Männer mit. Er bringt sie dort hin.“ Fournier winkte einen jungen Officer heran. „Mayhead, sie begleiten die Agents in den Garden District. Baker Monument.“

 

***

 

David Rossi hatte schon an vielen Observationen teilgenommen. Einen Menschen in einer großen Menge zu entdecken war nicht leicht. Er lies seinen Blick immer wieder über die Bildschirme streifen. Sie zeigten viele Menschen mit großen Taschen. Er vermutete ihr Täter würde kein großes Gepäck mit sich führen. Fournier hatte ihm zwei Beamte überlassen, die durch den Terminal streiften.

 

Holland würde sich vermutlich von den Kameras fernhalten. Innerlich neigte er aber zu Reids Meinung. Der Kerl würde jetzt nicht einfach aufhören können. Er hatte schon lange nichts mehr vom Convention Center gehört, als sein Handy klingelte. „Ja?“

 

„David! Er ist hier. Derek ist an ihm dran.“ Rossi nickte und blieb mit den Augen an einem der Bildschirme hängen. „Seid ihr sicher?“

 

„Ziemlich, warum?“ Vermutlich hatte er seine Skepsis gehört. „Weil Holland grad vor einer meiner Kameras steht und mich angrinst.“

 

Rossi war verblüfft über die Dreistigkeit dieses Kerls. „Er ist hier Hotch, wen auch immer ihr dort seht. Er ist nicht Keith Holland! Er winkt mir zu.“

 

„Alles klar. Wir kommen zu euch!“ Damit hatte sein Kollege aufgelegt und Rossi griff zum Mikrofon. Holland bewegte sich mitten zwischen den Menschen. Er konnte jeden Moment zustechen und eine Massenpanik auslösen. Er schien sich sicher zu füllen. „An alle, der Gesuchte befindet sich im Busterminal, Bussteig 7. Höchste Vorsicht. Er ist bewaffnet und scheut nicht davor Geiseln zu nehmen.“

 

Er wies einen Mitarbeiter der Busstation an die Kameraüberwachung weiter zu führen und mit ihm Funkkontakt zu halten und machte sich auf den Weg zum Bussteig. Als er am Fuß der Treppe ankam und runter sah stand der Kerl an der Treppe und schien auf ihn zu warten. Dann drehte er sich plötzlich um und verschwand in den Menschenmassen.

 

Er griff zum Funkgerät. „Sehen sie ihn noch?“ Er spurtete die Treppe hinab, doch er sah ihn nicht. „An alle, der Verdächtige trägt eine schwarze Kapuzenjacke, Blue Jeans und bewegt sich Richtung Ausgang.“

 

***

 

„Derek. Er ist es nicht.“ Dieser Satz erklang in dem Moment, als er den Mann vor sich an der Schulter packte. Dieser drehte sich erschrocken um und Derek erkannte seinen Fehler. Der völlig überraschte Mann sah ihn verwundert an. Derek war sich sicher, dass auch er etwas zu verbergen hatte, so wie er sich durch die Menge bewegt hatte.

 

Doch dies war nicht der Moment, sie jagten Keith Holland und niemand anderen. „Entschuldigung, eine Verwechslung.“

 

Er wandte sich ab und drückte sich im Trubel den Funkempfänger mehr ins Ohr. „Wo ist er?“ Hotch hatte anscheinend mehr Informationen. „Rossi hat ihn am Busterminal auf dem Bildschirm.“

 

„Ist das gesichert?“

 

„Er hat ihm zugewinkt. Wir treffen uns unten und fahren rüber. Er verfolgt ihn.“ Derek schüttelte den Kopf, der Kerl war mehr als dreist. Aber warum zeigte er sich. Damit würde eine Flucht per Bus für ihn unmöglich. Aber vielleicht brauchte er das ja gar nicht. Er besaß ja ein Fahrzeug und vielleicht stand es ihm trotz der Überschwemmungen rund um das Hotel noch zur Verfügung.

 

Er sah Aaron eine Treppe herunter hetzen und auf ihn zu laufen. „Wir müssen uns beeilen, Rossi ist ihm mit nur einem Beamten auf den Fersen.“

 

„Wir sollten bei Fournier nachfragen, ob er ein paar Leute entbehren kann.“ Hotch griff direkt zum Telefon, während er Derek die Schlüssel des Wagens zuwarf. „Fournier, wir jagen Holland am Busterminal, können sie uns noch ein paar Männer abstellen? OK. Sie sollen uns an der ... Florida Ecke Ocean Drive treffen. Was? Sie haben was?“ Derek horchte auf während er den Motor startete. Aaron war sichtlich schlecht gelaunt über das, was er da gerade hörte. „Na gut! Informieren Sie Mayhead und meine Kollegen über die Situation.“

 

„Was ist los?“

 

„JJ und Reid sind zum Baker Monument. Angeblich hat Holland in der Ecke mal gewohnt.“

 

„Die beiden sind angeschlagen...“

 

„Fournier hat darauf bestanden ihnen einen seiner besten Officer mitzugeben...“

 

***

 

Rossi konnte nicht verstehen, was gerade geschah. Es wäre für Keith Holland ein leichtes gewesen in der Menschenmenge zu verschwinden, aber irgendwie erweckte er den Eindruck verfolgt werden zu wollen. Immer wenn David ihn aus den Augen verlor, erblickte er ihn kurze Zeit später. Sie entfernten sich vom Terminal Richtung Norden.

 

Er kannte sich nicht wirklich aus, aber wenn er sich nicht täuschte, schlug er den Weg Richtung Krankenhaus ein. Wo wollte er hin?

 

Sein Telefon klingelte und er nahm den Anruf seines Kollegen an. „Aaron, wo seid ihr?“

 

„Wir fahren auf der Florida Richtung Westen, aber wir kommen wegen der Trümmer nur langsam voran. Weitere Einheiten sind unterwegs. Bist du an ihm dran?“

 

„Ja, aber er spielt mit mir. Immer wenn ich denke ihn verloren zu haben, taucht er kurz auf.“

 

„Sei vorsichtig, du weißt wozu der Kerl fähig ist.“ Das wusste David nur zu gut und sein Misstrauen wuchs. „Wir sind gleich bei dir.“

 

„Er bewegt sich stetig gen Nordwesten, so als wolle er zum Fluß.“ Rossi hatte keine Ahnung was er dort wollte und hatte ihn schon wieder verloren. Er bewegte sich vorsichtiger, falls Holland ihm eine Falle stellen wollte. Es dauerte fast fünf Minuten bis zum nächsten Sichtkontakt am Ende der Lucilla Lane. Doch gleich war Holland wieder verschwunden. Wieder meldete sich Hotch. „Wo sind sie David?“

 

„Lucille Ecke North!“ David keuchte. Er war nicht jünger geworden. „Ich bin noch ...“

 

„Verflucht!“ Er hörte die besorgte Stimmung in der Stimme ihres Kollegen... „Er läuft in Richtung Garden District.“ Hotch klärte seinen Kollegen auf. „Beeil dich David!“

 

***

 

„Danke.“ Officer Mayhead half Spencer aus dem Streifenwagen, der direkt vor dem Baker Monument im Capitol Park gehalten hatte. JJ hatte kein gutes Gefühl dabei mit Spence hier her zu fahren. Unter normalen Umständen gehörte ihr Freund und Kollege zur Beobachtung in ein Krankenhaus. „Geht es?“

 

„Ja alles ok, danke JJ. Sehen wir was uns Holland zeigen wollte.“ Mayhead ging zum Streifenwagen und schaltete den Suchscheinwerfer ein und beleuchtete damit die Statue auf dem großen Sockel. Langsam lies er den Scheinwerferstrahl über den Fuß wandern. JJ folgte dem Licht und plötzlich geriet ein Fuß ins Licht.

 

Auch Mayhead reagierte sofort und lies den Strahl höher wandern. „Großer Gott!“ JJ hätte den Blick am liebsten abgewandt, aber dies war ihr Job, sie musste sich den grausamen Szenen stellen. Spencer ging direkt näher. „Er hat ihn uns präsentiert. Er muss für Holland eine Bedeutung haben.“ JJ zog die Handschuhe aus ihrer Tasche, da ihr Kollege mit seinen bandagierten Händen nicht dazu in der Lage war, die Leiche zu untersuchen. JJ hätte auch gerne darauf verzichtet, aber auch sie wollte Antworten.

 

„Der Kerl ist fast 80 würde ich sagen, dass passt überhaupt nicht in das Opferprofil. Hat er irgendwelche Papiere bei sich?“ JJ trat an den Mann heran, den Holland mit dicken Tauen an die Säule mit der Büste gebunden, so dass auch der Sturm ihn nicht hatte fortwehen können. So wie es aussah, hatte er ihm die Kehle aufgeschnitten. Alles war voller Blut, trotz des vielen Regens. Sie stieg auf die unterste Stufe und versuchte die Taschen des Mannes abzutasten.

 

„Er hat keine Symbole gemalt und ihn auch nicht ausbluten lassen. Irgendwas ist hier anders.“ Spencer sah sich um und ging um die Statue herum. JJ fischte eine Geldbörse aus der feuchten Hosentasche und öffnete sie. Sie fand einen Ausweis und hielt ihn ins Licht. Arthur Holland!

JJ hielt den Atem an und las die Adresse. „Lakeland Drive! Spence, ich weiß wieso dieses Opfer etwas besonderes ist.“

 

„Spence?“ JJ wandte sich um und sah auch zum Streifenwagen, aber sie konnte weder ihren Kollegen, noch Officer Mayhead entdecken. Vorsichtig wandte sie sich um und sah plötzlich unterhalb der offenen Fahrertür des Streifenwagens einen immer größer werdenden dunklen Fleck. Instinktiv wusste sie, dass es Blut war. Alles in ihr war alarmiert. „Spence?“ Sie merkte wie ihre Stimme zitterte.

 

*** 

 

Das erste was er spürte, war der Atem Hollands. Nur Sekunden später spürte er die Klinge an seinem Hals und die Hand, die sich über seinen Mund legte. Er wollte sich wehren, wollte JJ und Mayhead warnen, doch seine bandagierten Hände waren wenig hilfreich.

 

„Shhhht! Schön ruhig Spence, wir wollen deine kleine Freundin doch nicht erschrecken oder? Sie wissen, ich bluffe nicht!“ Das wusste Reid, das wusste er nur zu gut. Doch er wusste auch, dass Holland gnadenlos war und er vermutlich weder ihn noch JJ davon kommen lassen würde. Er nickte um ihm zu vermitteln, dass er verstanden hatte.

 

„Spence?“ Das war JJ. Sie war vorne. Wo war nur der Officer, doch dann roch er das frische Blut an Hollands Hand und ahnte die Antwort bereits. „Spence?“ Der ernute Ruf war verändert, es lag eine Menge Misstrauen darin.“

 

„Alles klar Agent, beruhigen wir ihre Kollegin doch ein wenig. Vorwärts!“ Er stieß ihn vorwärts in das Licht des Suchscheinwerfers. Die Hand verschwand vor seinem Mund und ein plötzlicher Schmerz im Nacken folgte. Er hatte in seine Haare gegriffen und schob ihn vorwärts. Das Messer an seinem Hals schnitt ihn ein wenig in die Haut.

 

„Hallo Miss Jarreau!“ Spencer Reid sah den Schrecken in JJs Augen und die Waffe, die sie gezogen hatte und nun auf ihn und Holland richtete. „Nanana Agent, sie wollen doch nicht auf ihren Kollegen zielen? Sie haben mich analysiert. Sie wissen ich würde nicht nachgeben. Ich bin eine psychopatischer Killer ohne Gewissen mit einer sadistischen Neigung. Also Miss Jarreau, legen sie die Waffe an die Seite!“

 

Reid sah zu seiner Kollegin. Er kannte JJ, sie würde sein Leben niemals riskieren. Sie hatte aber auch genug Selbsterhaltungstrieb sich dem wahnsinnigen nicht auszuliefern. „JJ, du musst schi... argh!“ Holland drückte das Messer noch tiefer in die Haut riß an seinen Haaren den Kopf zurück. Spencer spürte, wie ihm das Blut am Hals herunter lief. „Shhht, Doktor!“

 

„Hören Sie auf! Sie haben ihm schon genug angetan und ich werde schießen, wenn sie nicht sofort aufhören. Wir werden das hier und jetzt beenden, haben sie verstanden? Das wollen Sie doch, oder?“ Reid sah ihr in die Augen. JJ und er hatte schon einige schwierige Momente durchgestanden und er wurde ganz ruhig. JJ machte das sehr gut. „Sie wollen doch, dass es endet, dass wir Sie verstehen? Darum haben Sie uns hierher gelockt.“

 

Er spürte die Verunsicherung in Hollands verhalten. Sein Griff lockerte sich für nur Sekundenbruchteile, aber es zeigte ihm, dass JJ richtig lag.

 

„Na los, erzählen sie uns von Arthur Holland. Lakeland Drive, da haben sie doch gelebt. Warum war Arthur so wichtig? Hat er ihnen etwas angetan? Kommt daher ihre Wut? Sie wollen doch nicht, dass ich sie erschieße bevor Sie uns ihre Geschichte erzählen konnten.“ JJ hielt ihre Waffe noch immer in ihren Händen und diese zitterten auch nicht mehr. Sie hatte den Täter in die Defensive gedrängt. Sie musste nur aufpassen, das konnte schnell eskalieren. Reid verhielt sich so ruhig wie möglich um nicht von JJ abzulenken.

 

„Sie wissen gar nichts!“ Er spie die Worte regelrecht aus. „Gar nichts!“

 

***

 

JJ atmete tief ein und versuchte ihre zitternden Hände unter Kontrolle zu kriegen. Sie durfte ihm keine Schwäche zeigen und ihn zu gleich nicht zu sehr provozieren. Sie war versucht ihren Freund zu schützen und seiner Forderung nachzugeben, aber ihre Ausbildung sagte ihr etwas anderes. Wenn sie jetzt nachgab, würden sie beide sterben. „Ich weiß eine ganze Menge über sie!“ Sie dachte bereits scharf nach, was sie verwenden konnte, denn im Grunde genommen bluffte sie.

 

„Ihre Eltern zogen immer um. Schwierig da Freundschaften zu pflegen. Sie waren immer allein. Doch dann zogen sie zu ihren Verwandten nach Baton Rouge. Zu Arthur. Sie waren wütend auf ihn, richtig? Wütend auf die ganze Welt die ihnen nicht zuhörte!“

 

„Hören Sie auf! Sie wissen gar nichts über Arthur! Er war... ich...!“ Holland schüttelte den Kopf und löste die Hand aus Spencers Haaren. Er wies auf die über ihr hängende Leiche. „Er war mein Onkel, er...“ Holland spie aus. „Er hat ein Mädchen geholt und niemanden hat es interessiert. Alle haben sich nur um den Sturm gekümmert. Er hat mir alles beigebracht, aber ich wollte es nicht.“ Er griff wieder an Reids Hinterkopf und zog diesen brutal zurück. Er war wütend. Besorgt sah JJ all das Blut, das aus der Schnittwunde am Hals floß.

 

„Deshalb wollten sie gestoppt werden!“ JJ glaubte nicht daran ihn dazu überreden zu können das Messer fallen zu lassen und Spencer war nicht in der Verfassung sich selbst zu befreien. Aber ihr Instinkt sagte ihr, dass er Reid nicht töten wollte, er wollte es beenden, hier und jetzt. Und sie sollte sein Henker sein!

 

„Hören Sie Holland, lassen sie meinen Kollegen los!“ Sie nahm plötzlich eine Bewegung hinter Holland war. David Rossi tauchte im Schatten auf und nickte ihr zu. Sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen und Holland weiter abzulenken.

 

***

 

Spencer hatte die kleine Ablenkung in JJs Augen wahrgenommen, irgendetwas hatte sie kurzzeitig abgelenkt. Etwas oder jemand war hinter ihnen. Das Messer drückte ihm noch immer schmerzhaft an die Kehle und er sah keine Möglichkeit sich aus dem Griff zu befreien.

 

„Kommen sie Holland. Das ganze muss doch nicht so enden. Wer sollte sonst die Geschichte von Arthur erzählen und sie wollen doch meinen Kollegen gar nicht töten.“

 

„Aber ich kann es! Ich entscheide wann ich aufhöre und niemand anderes. Ich entscheide wer lebt und wer stirbt!“

 

„Wie ihr Onkel Arthur? Wollen Sie wirklich so sein wie er?“

 

„Er hat mich dazu gemacht! Er war es! Ich...!“ Holland löste seinen griff in Spencers Haaren und griff nach hinten. Sekunden später hielt er einen Revolver in den Händen. „Ich bin nicht wie er!“ Er hob die Waffe hoch und zielte auf JJ. Reid biß sich auf die Lippen. Jetzt ging es nicht mehr nur um ihn. Holland hatte begriffen, dass sie nicht schießen würde, solange er in seiner Gewalt war. Sie würde ihn nicht gefährden. Doch Holland würde sie zwingen abzudrücken.

 

„Werfen Sie die Waffe weg Holland!“ JJ packte alle Autorität die sie besaß in ihre Stimme.

 

***

 

David Rossi schob sich langsam vorwärts, immer näher an Holland und Reid heran. JJ machte ihre Aufgabe sehr gut, sie lenkte ihn ab ohne sich von ihm provozieren zu lassen. Das Messer am Hals seines Kollegen war ein Problem. Den Waffenarm hätte er einfach wegschlagen können, aber das Messer konnte viel Schaden anrichten. David schob sich weiter vorwärts um eine gute Ausgangsposition zum eingreifen zu bekommen. Doch noch war der richtige Moment noch nicht gekommen.

 

„Die Waffe weg Holland!“ JJ machte es genau richtig. „Sie wollen ihn doch gar nicht, lassen Sie ihn los.“ Reid verhielt sich passiv. David erstarrte als ein Telefon klingelte, er selbst hatte seines stumm geschaltet. Holland drückte das Messer wieder fester an seinen Hals. „Na los Doktor! Gehen Sie ran und sagen ihren Vorgesetzten, dass er den letzten Akt des Blutengels von Baton Rouge verpasst. Los!“

 

Reid nestelte an seiner Tasche, bemüht sich nicht zu sehr zu bewegen und holte das Telefon heraus. „Abheben!“

 

Reid drückte den Knopf, schwieg aber. „Guten Abend Agent Hotchner! Sie verpassen eine Show.“ Das war der Moment auf den David Rossi gewartet hatte. Holland hatte zu viele Punkte die seine Aufmerksamkeit fesselten. Das Telefon, seine Waffe, Reid, das Messer und JJ liessen ihn das Messer nicht ganz so stark an Reids Kehle drücken. Er nickte JJ zu und diese nickte auch unmerklich. Er hoffte Reid hatte das gesehen, denn es konnte nur mit ihm klappen.

 

Er steckte die Waffe ins Holster und griff zu.

 

***

 

JJ sah in Reids Augen dass er verstanden hatte. Was nun kam lag zunächst einmal nicht mehr in ihrer Hand. Sie erlebte es wie in Zeitlupe, wie Rossi Holland in den Arm griff und das Messer zur Seite drückte. Reid nutzte die Gelegenheit und lies sich zur Seite fallen.

 

Rossi versuchte sich sofort wieder vom Täter zu lösen um JJ ein freies Schussfeld zu bieten. Doch dieser Plan schlug fehl. Keith Holland wandte sich um und attackierte Rossi. Dieser griff ihm instinktiv in den Arm mit der Pistole und schlug diese zur Seite. Doch damit endete auch schon seine Glückssträhne. Holland warf sich auf ihn und gemeinsam gingen sie zu Boden.

 

JJ versuchte ein freies Schussfeld zu bekommen und trat näher heran, doch Rossi befand sich immer im Schussfeld. „David!“ Doch es kam noch schlimmer, plötzlich befand sich Holland über ihrem Kollegen und stieß mit dem Messer zu. Gleichzeitig hatte sie endlich freies Schussfeld. Sie drückte ab und nur Bruchteile einer Sekunde später hörte sie einen zweiten Schuß.

 

Im unwirklichen Licht des Scheinwerfers erstarrte Holland in seiner Bewegung und kippte dann langsam zur Seite. Es war vorbei. JJ wagte wieder zu atmen und sah hoch zu Derek, der die Waffe noch immer im Anschlag hielt. Er nickte ihr zu und trat an Holland heran. Mit dem Fuß stieß er das Messer zur Seite und beugte sich zu Rossi herab. „David? Alles in Ordnung?“

 

„Es ist nur die Schulter. Geht schon, hilf mir mich aufzusetzen.“ David setzte sich hin und sie alle sahen sich gegenseitig an, wie um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. JJ  trat an Spencer heran und steckte die Waffe weg. „Komm ich helfe dir.“ Sie zog ihren Schal vom Hals und drückte ihn gegen den Schnitt am Hals.

 

„Ist er tot?“ Sie sah zu Aaron, der nun auch herangekommen war und Hollands Puls fühlte. Er nickte. Sie biß sich kurz auf die Lippen und sprach aus, was sie alle dachten: „Dann hat er letztendlich sein Ziel erreicht.“

 

***

 

Eine Ambulanz parkte direkt neben dem Bakermonument und die Sanitäter versorgten Rossi. Ihm ging es soweit ganz gut, er würde sie vermutlich direkt nach Abschluß der Untersuchung zurückbegleiten. Reid hatte seine Schnittwunde am Hals versorgen lassen und war dann mit Derek und einigen Detektivs zum Haus von Arthur Holland gegangen um sich dort umzuschauen.

 

Aaron sah zum Himmel hinauf, an dem sich auch die letzten Wolken langsam auflösten. Es wehte noch immer ein böiger Wind, aber der Sturm zog langsam Richtung Westen ab. Er hatte eine stark gebeutelte Stadt hinterlassen. Er hatte vorhin mit Fournier Kontakt. Die Situation in der Stadt war ziemlich unter Kontrolle und das Wasser lief bereits aus den Stadtteilen wieder ab.

 

Die Sonne ging am Horizont auf und warf ihr erstes dämmriges Licht über die unheimliche Szenerie. Die Spurensicherung war noch nicht vor Ort und noch immer hing die Leiche des alten Mannes am Denkmal. JJ stand davor und sah sehr müde aus. Er ging zu ihr, während einer der Officers vor Ort eine Decke über den Körper von Keith Holland legte. Officer Mayhead hatte Hollands Angriff nicht überstanden. Er war Hollands letztes Opfer geworden.

 

„Hey.“ Er legte den Arm um die Schulter seiner Kollegin und drehte sie sanft herum. „Du solltest dorthin schauen.“ Er wies auf die aufgehende Sonne.

 

Sie lächelte. „Du hast recht. Ein neuer Tag.“

 

„Ja und wir haben ihn stoppen können.“

 

„Aber um welchen Preis? Er hat so viele Menschen getötet oder verletzt.“ Sie wies in Richtung Lakeland Drive. „Was werden die beiden dort finden?“

 

„Es wird sein wie immer: Ein sadistischer Mann beeinflusst einen jüngeren und ein Serienmörder wird geboren. Es geschieht im verborgenen und eskaliert. Wir können den Brand nur löschen. Würdest du David ins Krankenhaus begleiten?“

 

Sie nickte gedankenverloren und hielt noch einen Moment inne um dem Sonnenaufgang zu genießen.„Es ist wunderschön, nicht wahr?“

 

„Ja.“

 

„Gehen wir.“

 

***

 

Derek goss zwei Tassen mit Kaffee ein und ging zu seinem Sitz zurück. Er stellte eine vor Reid ab und setzte sich. Aaron saß ihnen gegenüber und las in einem Bericht. Sie alle waren erschöpft und zugleich auch erleichtert den Sturm und all seine Folgen hinter sich zu lassen. Ein Hubschrauber hatte sie nach Memphis zu ihrem Flieger gebracht. Rossi hatte sich hingelegt und auch Emily und JJ waren in ihren Sitzen eingenickt. „Bitte.“

 

„Danke.“ Reid starrte auf die heiße Tasse und dann auf seine bandagierten Hände und schien zu überlegen ob es einen Versuch Wert war, doch dann lenkte er ab. „Hotch, hat Fournier dich noch erreicht?“

 

„Ja.“ Sein Kollege sah zu Reid auf. „Sie haben Arthur Holland mit Hilfe von Penelope durchleuchtet. Er hat bereits in den 70ern gemordet. Den ersten Ergebnissen nach gehen zwei Frauen auf sein Konto. Er war Keith Hollands Onkel und nahm die Familie seines Bruders für eine Weile auf.“

 

„Und die Bilder, die wir in seinem Schlafzimmer gefunden haben passen auch.“ Reid schob sich eine der Tassen zurecht. „Bilder von Engeln an jeder Ecke.“

 

Derek nickte stumm. Arthur Hollands Haus war kein Ort für einen kleinen Jungen gewesen, weder heute noch damals. Der ganze Fall hatte sie mitgenommen und auch der Sturm. Derek nahm einen Schluck. „Ich bin ganz froh nicht an der Küste zu wohnen, diese ständige Bedrohung durch die Naturgewalten, ich weiß nicht!“

 

Aaron sah von seinen Unterlagen auf. „Man weiß nie, was einen erwartet. Das kann ein Erdbeben, ein Feuer, ein Sturm, Unfall aber auch ein verrückter Serienkiller sein. Entscheidend ist sein Leben trotzdem zu leben und sich dabei nicht von diesen Ängsten beherrschen zu lassen.“

 

„Für die Bewohner der Küste leichter gesagt als getan.“ Derek sah nachdenklich aus dem Fenster und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Tasse. Er sah zu Spencer, der sich noch immer mit seiner Tasse mühte. Arthur Holland hatte Spuren im Leben und Verhalten von Keith Holland hinterlassen und Keith hatte Spuren im Leben vieler Menschen hinterlassen.

 

Angehörige betrauerten ihre Töchter, Söhne oder Eltern und andere ihre Freunde. Baton Rouge würde den Blutengel genauso wenig vergessen wie das Team. Derek sah den Verband unter Reids Hemd hervorschauen. Holland hatte deutliche Spuren in vielen Leben hinterlassen.

 

Er schüttelte die trüben Gedanken ab und griff nach Reids Tasse. „Laß dir helfen!“